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Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Titel: Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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einmal war ihm nun so bange wie einem kleinen Jungen im finsteren Wald. Hinter jedem Baum konnte jemand lauern - ein Kindermörder, eine Hexe, ein böser Geist. So flüchtete er sich ins nächtliche Biwak, das die Schutzmannschaft auf einem Kohlenplatz an der Rückseite des Nordrings aufgeschlagen hatte. An der Mauer eines Hauses hatte man vom 4. Garderegiment entliehene Zelte aufgestellt, in denen sich die Schutzleute, die seit dem Morgen auf den Beinen waren, ausruhen konnten. In tiefem Dunkel, aus dem nur die Helmspitzen der Polizisten hervorleuchteten, huschten schwarze Gestalten hin und her, Kommandorufe ertönten, und immerzu bildeten sich neue Gruppierungen von Mannschaften, die dorthin in Marsch gesetzt wurden, wo der Kampf am heftigsten tobte.
    Eine halbe Stunde saß Kappe im Kreise seiner uniformierten Kollegen und fragte sie nach den beiden Männern, die er suchte. Einen Priebusch kannte keiner, aber der mit der leisen Stimme, so sagte man ihm, konnte einer sein, der in der Unterwelt unter dem Spitznamen Flüster-Fritze bekannt sei und einiges Ansehen genieße.
    «Auch als Einbrecher?», fragte Kappe.
    «Ja.»
    «Hat er schon mal auf jemanden geschossen?», hakte Kappe nach.
    Sein Gegenüber dachte kurz nach. «Ja, hat er, und dafür eine Weile im Zuchthaus gesessen.»
    «Den Namen wissen Sie aber nicht mehr?»
    «Nee, tut mir leid, aber ‹Fritze› lässt darauf schließen, dass er mit Vornamen Friedrich heißt.»
    Kappe bedankte sich und beschloss, es damit für diesen Tag genug sein zu lassen. Nun musste er nur noch versuchen, sich zur Stadt- oder Ringbahn durchzuschlagen, um nach Hause zu kommen. Dass in der Turm- oder Beusselstraße noch Straßenbahnen fuhren, war kaum anzunehmen. Aber probieren konnte er es ja. Mit der 6 kam er bis zum Schlesischen Bahnhof, und von dort hatte er nicht mehr weit zu laufen. Die 7 fuhr von Alt-Moabit zur Hasenheide, das würde auch noch gehen. Am besten war aber die Linie 11, mit der kam er fast bis zur Haustür.
    Es ging auf 22 Uhr zu, als er sich auf den Weg machte. Doch weit kam er nicht, schon an der Ecke Sickingen- und Rostocker Straße war fürs Erste Schluss. Dort hatten die Aufrührer einen Feuermelder eingeschlagen und empfingen nun den anrückenden Löschzug mit Steinwürfen. Die Litfaßsäule, die man ein Stückchen weiter angesteckt hatte, brannte nieder. Wieder geriet Kappe zwischen die Fronten und musste fürchten, mit einem Säbel Bekanntschaft zu machen und niedergeritten zu werden oder einen Blumentopf auf den Kopf zu kriegen und mit gebrochenem Schädel zu Boden zu sinken. Instinktiv lief er dorthin, wo viele Frauen standen, Frauen und Kinder. Es war eine gute Entscheidung, wieder kam er mit dem Schrecken davon, dem Schrecken und der Erkenntnis, dass man durch das Lesen von Karl-May-Büchern noch lange kein Old Shatterhand oder Kara ben Nemsi wurde.
    Immerhin straffte er sich, während er an die Unüberwindlichen wie Old Shatterhand, Old Firehand und Winnetou dachte, und wagte sich wieder aus seinem Versteck hervor. Am liebsten hätte er sich wie die Männer, die auf den Straßen Reklame liefen, große Papptafeln umhängt, vorn mit der Aufschrift «Suche Flüster-Fritze», hinten mit «Suche Priebusch». Das ging natürlich nicht, aber die Leute nach beiden zu fragen, war ebenso unmöglich, sie hätten ihn auf der Stelle fürchterlich verprügelt. Fragen stellen konnten nur Männer, die eindeutig als Zeitungsschreiber zu erkennen waren. Vielleicht schaffte er es, die Presseleute wiederzufinden, die er vorhin belauscht hatte. Kappe machte sich daran, durch die Straßen zu streifen.
    Zwischen Mitternacht und ein Uhr griff die Menge die Reformationskirche in der Wiclefstraße an. Zahllose Steinwürfe zertrümmerten die großen Kirchenfenster mit ihren Glasmalereien. Ein Teil der Menge versuchte, das Pfarrhaus zu stürmen, wurde aber mit blanker Waffe vom dreihundert Mann starken Aufgebot der 2. Schutzmannsbrigade unter Major Klein zurückgetrieben.
    Das Warenhaus der Gebrüder Preuß, das an der Ecke Beussel- und Erasmusstraße und damit schon auf Charlottenburger Gebiet gelegen war, sollte gestürmt werden, konnte aber von der Polizei erfolgreich verteidigt werden. Nur die Schaufensterscheiben wurden eingeschlagen und die Auslagen geplündert. Dabei war ein Schutzmann seinen Kameraden vorausgeeilt und von ihnen abgetrennt worden. Man überschüttete ihn mit einem Steinhagel. Als er zu seinem Schutz in eine Kneipe eilte, folgte ihm die Menge. Die

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