Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
werden.»
«Das nenne ich vollen Einsatz!», rief der Mediziner. «Aber ich würde es lieber sehen, wenn Sie sich noch ein paar Tage Schonung gönnten.»
«Bitte! Auf meine Verantwortung.»
Man untersuchte ihn noch einmal und entließ ihn dann mit der Bemerkung, des Menschen Wille sei sein Himmelreich. Als er sich auf den langen Weg zum Ausgang machte, merkte er aber, dass er doch noch ziemlich schwach war. Am besten war es, er fuhr nach Hause und legte sich dort erst mal ein paar Stunden ins Bett, ehe er sich bei seiner Mordkommission als dienstbereit zurückmeldete. Aber anrufen wollte er. In der Pförtnerloge stand ein Telefon, doch er musste dem Mann erst disziplinarrechtliche Schritte androhen, ehe der sich anschickte, ihm ein Amt zu geben.
«Aber keine Privatgespräche!»
Kappe musste an sich halten, um den Mann nicht einen Idioten zu nennen. «Das Polizeipräsidium bitte.»
Endlich hatte er von Canow am Apparat und schilderte ihm alles, was vorgefallen war. Der belobigte ihn, gewährte ihm Erholungsurlaub bis zum Abend und übergab dann an Galgenberg.
«Dem können Sie alles über die beiden Männer erzählen, die Sie im Visier haben.»
Kappe bedankte sich und wiederholte seinen Bericht, wenn auch diesmal in einer Kurzfassung. «Da bin ich also dem Tod in diesem Jahr zum zweiten Mal von der Schippe gesprungen.»
Galgenberg lachte. «Trag’s mit Osram.»
«Wie?»
«Na: mit Fassung.»
«Ja, danke. Wenn Sie bitte so nett sein würden, sich umzusehen und umzuhören, was mit diesem Flüster-Fritze los ist, Friedrich Schwina. Das könnte der Mann sein, der den Einbruch bei Kockanz verübt hat. Und vielleicht hat er es ein zweites Mal versucht und dabei den Tilkowski erschossen. Wichtiger ist aber noch der zweite Mann, den wir unbedingt suchen und finden müssen, ein gewisser Priebusch oder Priebisch. Ist der irgendwann einmal als Anarchist auffällig geworden? Von Zeitungsleuten habe ich gehört, dass er etwas mit dem Mord an Tilkowski zu tun haben soll.»
«Wird jemacht», bestätigte Galgenberg den Auftrag und reimte dann: «Bis acht.» Um acht Uhr abends wollten sie sich am Bahnhof Beusselstraße treffen. «Und mal sehen, ob wir dann ooch mal ’n Blumentopp gewinnen können und nich nur eenen uff ’n Kopp kriegen.»
Frieda Grienerick hatte es schwer im Leben. War ein Mädchen mehr oder minder hässlich, so hatten die Berliner als Trost einen schönen Spruch parat: «Aber dafür hat se ’n juten Charakter.» Doch auch das ließ sich von ihr beim besten Willen nicht behaupten. So sagten jedenfalls die Leute hinter ihrem Rücken. Es hieß von ihr, sie sei eitel, schnippisch, rechthaberisch, geizig, zänkisch, wetterwendisch und neidisch. Wenn sie trotzdem als Bollemädchen durch die Straßen fahren und den Leuten Meiereiprodukte ins Haus bringen durfte, dann lag das daran, dass im Gegensatz zur ersten eine andere Berliner Lebensweisheit auf ihren Fall durchaus anzuwenden war: «Bei Nacht sind alle Katzen grau.» So löschte denn der Milchhändler in der Thurmstraße stets das Licht, wenn er sie ins Bett holte. Als Dank dafür hatte er Frieda die Anstellung bei Bolle verschafft. Er war es auch, der ihr Rosinen in den Kopf gesetzt hatte: «Bei deine Liebeskünste kannste’t noch mal weit bringen. Die alten Knacker nehmen jerne so eene wie dich.» So träumte sie jeden Abend beim Einschlafen davon, einmal in die besseren Kreise einzuheiraten. Doch sie war zugleich so realistisch, ihrer Freundin Edith recht zu geben, wenn die anmerkte, dass ihr großer Plan nur gelingen konnte, wenn sie einem Blinden begegnete.
Frieda Grienerick lebte mit ihrer Mutter, einer Waschfrau, zusammen in der Wiclefstraße, wo sie in einem Seitenflügel Stube und Küche gemietet hatten. Gertrud Grienerick war vom selben Kaliber wie ihre Tochter, und die Leute sagten, ihr Mann hätte unheimlich Glück im Leben gehabt. «Dadurch, dassa so früh jestorben is.» Ein kleines Männeken war er gewesen, Ritzenschieber bei der Straßenbahn, auch er eine ziemliche Vogelscheuche. «Wissen Se eijentlich, det die Frieda det zweete Jöhr von die Grienericks is?» - «Nee.» –
«Na, det erste war so hässlich, det sie’t wegwerfen mussten.» - «Da hat die Frieda aba Jlück gehabt, det se nich ooch. ..»
Nach dem Malheur mit dem gekaperten Milchwagen, der dann auch noch in der Beusselstraße umgestürzt war, hatte man Frieda Grienerick für den Rest des Tages freigegeben, und da auch ihre Freundin Edith, die als Dienstmädchen bei
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