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Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Titel: Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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Hause war er allerdings nicht. Seinen Köter hatte er zum Glück mitgenommen. Im Schutze der Dunkelheit hatten sie sich auf seine kleine Parzelle geschlichen und sich hinter seinem hölzernen Toilettenhäuschen versteckt. Sie mussten nur aufpassen, dass die beiden wackligen Stühle nicht gerade in dem Augenblick unter ihnen zusammenbrachen, in dem Friedrich Schwina nach Hause kam. Doch der ließ sich heute Abend Zeit.
    Galgenberg trauerte dem Zahn nach, den man ihm am Vormittag gezogen hatte. «Da wächst nu nischt mehr nach. Ein Satz mit Furien, Sonne und Norwegen?»
    Kappe stöhnte auf. «Wie immer: Fehlanzeige.»
    «Na: Vurijen Winta hatte ick so ’ne Zahnschmerzen nor wejen die jroße Kälte.»
    Kappe konnte nur bedingt lachen, denn noch immer hatte er sich nicht davon erholt, was ihm im Bahnhof Sophie-Charlotte-Platz widerfahren war. Auch dass ihm der Verbrecher entkommen war, schmerzte ihn. Wie gern hätte er dem Major in Storkow Mitteilung gemacht, dass der Mann nun hinter Schloss und Riegel sitze.
    Während Kappe wortkarg hinauf zum Sternenhimmel blickte, war Galgenberg in ausgesprochener Plauderstimmung.
    «Haben Sie das gelesen, Kappe, was da aus Breslau gemeldet worden ist?» Als der das verneinte, erzählte ihm Galgenberg von der dreißig Mann starken Räuberbande aus Russisch-Polen, die über die Grenze auf deutsches Gebiet vorgedrungen war und einen Raubzug durch vier Gemeinden unternommen hatte. «Überall haben sie die Gemeindekasse beraubt und drei Wächter, einen Gemeindevorsteher und zwei Bauern durch Revolverschüsse getötet. Sehen Sie, woanders geht es noch schlimmer zu als bei uns, was ja ein schöner Trost ist.»
    «Danke.»
    Galgenberg suchte die Wartezeit zu verkürzen, indem er alles wiedergab, was in den letzten Tagen in Berlin an Verbrechen aktenkundig geworden war. In Charlottenburg war der siebzehnjährige Kaufmannslehrling Ewald Meyer mit dreitausend Mark durchgebrannt. Am Bahnhof Zoo war ein sechzehnjähriger Lehrling dabei erwischt worden, einen Automaten mit Hilfe falscher Münzen zu plündern. In Friedrichshagen hatte die sechzehnjährige Anna F. eine Vergewaltigung durch einen ahnungslosen Gürtler vorgetäuscht, um von ihren Eltern nicht wegen verspäteter Heimkehr bestraft zu werden. Vor Gericht wurde der Fall des Arztes Dr. Hartung verhandelt. Er wurde beschuldigt, sich an seinen Empfangsdamen und mehreren jugendlichen Patientinnen sittlich vergangen zu haben. «Sehen Se, das erleben Sie nur in Berlin.»
    «Ach, in Storkow kann man auch erschossen werden.»
    «Ja, aber offensichtlich nur von einem Berliner.»
    Kappe fand das nicht ganz so komisch wie der Kollege. «Morgen bekomme ich den Zeichner, und ich hoffe, dass es ihm gelingt, nach meinen Angaben ein Porträt zu Papier zu bringen, mit dem wir erfolgreich nach ihm fahnden können.»
    Galgenberg wollte sich einen von Schwinas Äpfeln pflücken, ließ es aber lieber, als er an seinen gezogenen Zahn dachte. «Ein Satz mit Referendar? - Die Äppel sind ja so jrün, ham Se denn keene reeferen da?»
    Langsam ging ihnen der Gesprächsstoff aus. Zudem begannen sie, kräftig zu frieren. Ihre Stimmung wurde immer schlechter, und Galgenberg brummte schon, dass er sich wegen eines kleinen Eierdiebes keine Lungenentzündung holen wolle.
    Da sahen sie Friedrich Schwina kommen. Vor seinem windschiefen Gartentor brannte eine Gaslaterne. Sie wollten warten, bis er vor der Tür seiner Laube stand und den Schlüssel ins Schloss gesteckt hatte, doch diesen Plan machte sein Hund zunichte. Als das Tier die Fremden auf dem Grundstück witterte, sprang es wie von Sinnen am Gartenzaun hoch, und die beiden Kriminalbeamten mussten fürchten, von ihm zerfleischt zu werden, wenn es ihm gelang, über das Hindernis zu setzen.
    «Kriminalpolizei!», schrie Galgenberg. «Nehmen Sie das Tier gefälligst an die Leine. Wir hätten Sie gerne einmal gesprochen, Herr Schwina.»

ZEHN
Donnerstag, 29. September 1910
    DIE MORGENANDACHT der Mordkommission Kohlenplatz begann heute verspätet, denn Waldemar von Canow war länger als gewöhnlich mit der Lektüre der Morgenzeitungen befasst. Großer Raum wurde weiterhin den «Streikkrawallen in Moabit» gewidmet, aber auch der Nachruf auf den Geheimen Kommerzienrat Karl Bolle kam nicht zu kurz, etwa im Berliner Lokal-Anzeiger:
    Mit Karl Bolle ist ein in Berlin populärer Mann dahingegangen, und das ist traurig und sehr zu beklagen, denn die populären Männer werden immer seltener in dieser von Tag zu Tag

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