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Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Titel: Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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gleichförmiger werdenden Zeit. Ganz fest ist Bolles Wirken mit dem hastigen Wachsen dieser Stadt, in der wir leben, verknüpft. Sein anheimelnd deutscher Name war in aller Munde, und seine Bollejungen wurden in hundert Couplets besungen, ja traten chorweise in Balletten auf und tanzten sinnbetörend. Und als später diese Bollejungen sich in Bollemädchen verwandelten, da wurde die Sache bei den Berlinern womöglich noch populärer. .. Wie in der guten alten Zeit bimmelt auch heute noch der weiße Wagen durch die Straßen, verzapft sein friedliches Getränk und bringt in den Lärm des Berliner Vormittags einen Zug freundlicher Ländlichkeit.
    Weiter unten war zu lesen, dass die Kaiserin ihrer Anteilnahme am Todes Karl Bolles in einem Telegramm Ausdruck gegeben hatte, das als erstes im Trauerhause eingetroffen war. Was gab es noch? In Spandau war die Cholera, der Ende August ein Ehepaar zum Opfer gefallen war, glücklicherweise erloschen. In Bayern hatte der Thronfolger Prinz Ludwig das Wirken seines Vaters als segensreich gepriesen: Das wird niemand leugnen, dass Bayern in den letzten 23 Jahren fortgeschritten ist. Auf einer Automobiltour ins Oderbruch waren zwei Berliner schwer verunglückt. Die beiden Verletzten wurden mit der Bahn nach Berlin übergeführt. Das Auto ist total zertrümmert. Ein Heiratsschwindler-Trio hatte in Cöpenick zugeschlagen. Seit einiger Zeit treibt dort ein angeblicher Ingenieur Willi Treß sein Unwesen, indem er mit Mädchen und Zimmervermieterinnen Beziehungen anknüpft, ihnen die Ehe verspricht und sie dabei gründlich rupft.
    Aus London hatte der Korrespondent Kommentare der einflussreichsten Zeitungen zu den Moabiter Unruhen gedrahtet. So hatte die Daily News geschrieben:
    Ausbrüche dieser Art sind etwas Neues in der Geschichte des modernen Deutschland. Bisher glaubte man, dass die militärische Disziplin, die das gesamte Leben des deutschen Volkes durchdringt, alle Lust zu Straßenkämpfen unterdrückt. Diese Ansicht war falsch. Daher müssen die Tage des Aufstandes als ein bedeutsames Zeichen gedeutet werden. Noch ist die eigentliche Ursache und die Natur der Kämpfe in Halbdunkel gehüllt. .. Aber etwas kann man unmöglich glauben, nämlich dass der Streik der Angestellten einer Kohlenfirma die Ursache zu derartigen Exzessen, die an Barrikadenkämpfe erinnern, sein soll.
    Der Standard vermutete, dass die Arbeiterorganisationen in Deutschland - wie das auch schon in England zu registrieren war - ihre Gewalt über die Massen verlieren würden.
    Aus Brüssel hatte der dortige Korrespondent einen Auszug aus der Zeitung Le Peuple nach Berlin gemeldet:
    Wenn es richtig ist, dass die Ereignisse anzusehen sind als Explosion einer in den arbeitenden Volksschichten angesammelten Erbitterung, so muss man die Ursache dafür in den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen suchen und nicht allein in dem Anwachsen der indirekten Steuern, wovon die ungeheure Theuerung des Fleisches und der notwendigen Lebensmittel eine der geringsten Konsequenzen ist, oder in der Verweigerung eines liberalen Wahlrechts für Preußen, sondern in dem sozialen Anachronismus des 20. Jahrhunderts. Der Aufstand ist vielleicht nur der Prolog zu einem Drama.
    Waldemar von Canow ließ die Zeitung sinken. In der Tat, einiges erinnerte wirklich an die Revolutionen von 1789 in Paris oder 1848 hier in Berlin. Hatte die Götterdämmerung der Hohenzollern begonnen? Kam danach die Republik? Würde man vorher alle Adligen aufs Schafott schleppen oder wenigstens des Landes verweisen? War die Zeit gekommen, sich auch ein paar Freunde unter den Sozialdemokraten zu suchen?
    Während sich ihr Vorgesetzter seiner Zeitungslektüre und seinen frei flutenden Gedanken hingab, quälten sich Hermann Kappe und Gustav Galgenberg mit Flüster-Fritze herum.
    Kappe fixierte ihn. «Schwina, Sie bestreiten also weiterhin, jemals in ihrem Leben den Kockanzschen Kohlenplatz in der Wiclefstraße betreten zu haben?»
    «Ja.»
    Friedrich Schwina sprach so leise, dass Kappe das Fenster hatte schließen müssen, damit sie überhaupt etwas verstanden. Auch legten er und Galgenberg, wenn Schwina etwas sagte, die Hände wie Schalltrichter an die Ohren.
    Umso lauter redete Galgenberg, es war eine merkwürdige Reaktion. Fast schrie er schon. «Du hast also weder den ersten Einbruch begangen noch den zweiten, in dessen Folge vermutlich Paul Tilkowski erschossen worden ist?»
    Schwina starrte ihn an, da er nicht genau wusste, ob er auf diese Frage mit Ja

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