Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
Karriere machte.
«Kappe, wir wollen nicht einschlafen», mahnte von Canow. Galgenberg lachte. «Den Seinen gibt’s der Herr im Schlafe.» Sollte das Hermann Kappe, der kaum in die Kirche ging und fast schon als Freidenker gelten konnte, auf sich beziehen? Jedenfalls wurde wenige Minuten später an die Tür geklopft, und auf das unwillige «Herein!» von Canows erschien ein leicht verwachsener Bürobote.
«Gibt es hier einen Herrn Katte?», fragte der Mann.
«Nein», antwortete von Canow. «Hans Hermann von Katte ist 1730 vor den Augen Friedrichs des Großen auf der Festung Küstrin geköpft worden, wir haben hier nur einen Hermann Kappe - mit pp statt tt und ohne von.»
«Da ist ein Brief an den mit pp.» Als er das sagte, bekam der Bote, bei allem Respekt vor dem Inspektor, einen kleinen Lachanfall, denn P. P. stand immer draußen an den Bedürfnisanstalten.
Kappe war rot angelaufen, denn er glaubte, Klara Göritz hätte ihm einen Liebesbrief geschrieben, hierher ins Präsidium, weil sie seine private Adresse vergessen hatte. Mit rasendem Puls nahm er dem Boten den Umschlag aus der Hand und drehte ihn um. Aber da stand gar kein Absender. «Der ist anonym.»
«Vorsicht!», rief Dr. Kniehase. «Da können giftige Pulver drinstecken.»
«Anonyme Briefe gehören bei uns in den Papierkorb», sagte von Canow. «Aber erst, nachdem man sie gelesen und ausgewertet hat. Dann öffnen Sie mal das Kuvert, Kappe.»
«Ja, aber. ..» Kappe zögerte. Wenn der Brief nun wirklich von Klara war und sie etwas sehr Gewagtes geschrieben hatte? Wenn man ihn zwang, das in diesem Kreise vorzulesen, oder den Brief reihum gehen ließ?
Der Leiter der Mordkommission Kohlenplatz wurde ungeduldig, riss ihm den Umschlag aus der Hand und reichte ihn dem Boten, der noch nicht wieder abgetreten war. «Sie tun das mal für uns, Sie haben die meiste Erfahrung mit solchen Sachen.»
Der Mann tat, wie ihm geheißen, und förderte einen einmal gefalteten weißen Bogen zu Tage. «Da ist nichts weiter. ..»
«Danke.» Von Canow nahm den Bogen und faltete ihn auseinander.
Kappe sprang auf und griff danach. «Lassen Sie nur, das ist doch für mich.»
«Nein, das ist für uns alle.» Von Canow hatte auf einen Blick erkannt, dass es etwas Dienstliches war. Drei Zeilen waren es nur, drei Sätze, mit einer Schreibmaschine zu Papier gebracht:
Der Mörder des Kohlenarbeiters Paul Tilkowski ist Gustav Dlugy vom Streikkomitee. Er hat den Streikbrecher erschossen, um ein Zeichen zu setzen. Erst hat er gleich zur Polizei gehen wollen, jetzt ist er zu feige dazu .
Erst einmal schwiegen sie alle. Das klang nicht wie das Elaborat eines geistig gestörten Menschen, sondern wie eine amtliche Verkündigung. Zu diesem Eindruck trug auch bei, dass der Brief auf einer Maschine geschrieben worden war.
«Warum aber ist der Brief an Kappe adressiert und nicht an das Polizeipräsidium als solches?», fragte Dr. Kniehase.
Die Antwort musste sich Kappe nicht lange überlegen. «Weil ich in Moabit als der bekannt bin, der nach dem Mörder sucht, ich war am meisten vor Ort.»
«Haben Sie das Schreiben womöglich selber verfasst?», fragte Dr. Kniehase lachend.
Kappe war empört, suchte aber die Contenance zu wahren.
«Wieso denn das?»
«Weil es an Sie persönlich adressiert ist.»
«Diese Art von Humor liegt mir fern. Ich bin diesem Dlugy auf der Suche nach Priebisch kurz begegnet, aber wenn ich ihn verdächtigen würde, hätte ich das doch in diesem Kreise sagen können, ohne mit negativen Reaktionen rechnen zu müssen.»
«Es gibt immer wieder Menschen, die sich in den Vordergrund spielen müssen», brummte Dr. Kniehase.
«Nu is aba jut, Herr Doktor!», rief Galgenberg. «Wie hat meine Mutter immer gesagt: Knall dir selba eene, ick hab jetzt keene Zeit dazu.»
«Schluss jetzt!», rief von Canow und zeigte ein Maß an Energie, das man ihm kaum zugetraut hätte. «Sonst treffen sich meine Herren Untergebenen heute Abend noch zum Duell. Natürlich kann Kappe nichts dafür, dass jemand seinen Namen auf einen Briefumschlag schreibt, aber ebenso natürlich müssen wir uns fragen, warum gerade er. Aber das hat Zeit. Zunächst fahren Sie, Kappe, und Sie, Galgenberg, erst einmal nach Moabit, um sich diesen Dlugos - nein: Dlugy vorzuknöpfen.»
Das Gewitter ist vorüber, hieß es in der Abendausgabe des Berliner Lokal-Anzeigers , aber dies war mehr Wunsch als Wirklichkeit, denn zu Beginn der vierten Nacht war das Aufgebot an Schutzleuten noch einmal verstärkt
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