Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
den Fenstern hatte er seine Bedenken, da war er zu sehr praktisch eingestellt. Sie waren «fassadenbündig», wie der Architekt das genannt hatte, lagen also in keinen Höhlungen und waren damit Wind und Wetter sehr ausgesetzt. Will ich so nicht!, schrieb er mit Kopierstift an den Rand der Blaupause. Nach kurzem Zögern fügte er noch hinzu: Und das Haus will ich L-förmig. Oder doch nicht? Er war sich da nicht ganz schlüssig.
Während er noch hin und her überlegte, wurde draußen am Klingelzug gerissen. Erst reagierte er gar nicht - wozu war denn sein Diener da? –, dann fiel ihm ein, dass es hier ja keinen Alfons Weißagk mehr gab. Also hinkte er selber in den Korridor hinaus.
«Bitte, wer ist da?» In diesen Zeiten musste man vorsichtig sein, besonders als Kohlenhändler.
«Hier ist Frieda.»
«Ich kenne keine Frieda!», rief er, unwillig über die Störung.
«Frieda Grienerick.»
«Ich kenne auch keine Frieda Grienerick.»
«Doch kennen Sie mir. .. nee: mich! Ich habe Sie. .. nee: Ihnen imma die Mülch gebracht, ick bin Ihr Bollemeechen.»
Kockanz empfand es als Unverschämtheit, ihn am Sonntagnachmittag heimzusuchen. «Ich brauche keine Milch.»
«Es ist etwas Persönliches.» Frieda Grienerick bemühte sich, als Dame aufzutreten und nicht so stark zu berlinern. «Das geht nicht im Treppenhaus, das kann ich Ihnen nur unter vier Augen sagen.»
Kockanz erinnerte sich jetzt an Frieda. Das war doch das auffallend hässliche Milchmädchen mit dem Silberblick. Die in seiner Wohnung zu haben, jagte ihm fast Angst ein. Dennoch öffnete er jetzt, denn er wollte kein weiteres Aufsehen erregen - die anderen Mieter im Haus hatten die Sache mit Weißagk mitbekommen und standen sicherlich hinter ihren Türen und drückten sich die Nasen platt, um durch die Türspione alles verfolgen zu können. «Nun empfängt er auch noch alleinstehende Damen.»
Als Frieda Grienerick eingetreten war, wies sie ihn an, ihr den Mantel abzunehmen und zur Garderobe zu tragen. «Es wird ein längeres Gespräch werden. Und denken Sie dabei immer daran, dass ich alles aufgeschrieben und meiner besten Freundin übergeben habe. Stößt mir etwas zu, dann reißt sie den Umschlag auf und geht zur Polizei.»
Kockanz zeigte ihr den Weg zur Loggia. «Kommen Sie. Wenn Sie da Platz nehmen würden? Und können wir es kurz machen? Ich habe wenig Zeit. Worum geht es eigentlich?»
Frieda Grienerick setzte sich und sah aus dem Fenster. Die letzten Sonnenstrahlen fielen auf Blätter, die sich langsam zu verfärben begannen. «Es geht um Paul Tilkowski, die verkohlte Leiche.»
Kockanz zog an seiner Havanna. «Sind Sie eine Verwandte von ihm?»
«Nein, aber ich wohne in der Wiclefstraße, im Haus links neben Ihrem Kohlenplatz, im zweiten Stock. Ich kann direkt auf Ihre Baracke runtersehen.»
«Wie das? Da ist doch nur die Hauswand, ohne Putz, und kein Fenster drin. ..» Kockanz verstand das nicht.
«Kein Fenster, nein, aber ein schmaler Schlitz», erklärte ihm Frieda Grienerick. «Sieht man von unten gar nicht. Den hat mein Vater mal in die Mauer gestemmt, weil meine Mutter immer so gemeckert hat. Wir haben da unser Klo, und es hat immer so gestunken. Durch das Loch in der Wand ist dann frische Luft reingekommen.»
«Und was hat das mit mir zu tun?»
Frieda Grienerick atmete tief durch. «Ich habe schon als Kind immer gern durch diesen Schlitz geguckt und gesehen, was bei Ihnen auf dem Kohlenplatz passiert ist. Und zuletzt. .. Gott, der Paule Tilkowski war schon ein Mann. .. Ich konnte ihm stundenlang zusehen.»
«Ja, und?»
«Sonnabend vor einer Woche, da bin ich auch bei mir oben gestanden und hab ihm zugesehen. Bis Sie dann gekommen sind und sich mit ihm gestritten haben.» War sie bis hierher noch sehr beherrscht gewesen, so brach es jetzt aus ihr heraus. «Wie Sie ihn dann erschossen haben. .. und in Ihre Baracke geschleppt haben. .. und die dann angesteckt. Habe ich alles mit eigenen Augen gesehen!»
Kockanz schwieg und starrte an ihr vorbei in die untergehende Sonne. Es war um Sophie Schünow gegangen. «Nun. ..» Er riss sich zusammen. «Wie viel Geld verlangen Sie?»
«Kein Geld.»
«Was dann?»
«Dass Sie mich heiraten, dass ich Frau Kockanz werde.»
DREIZEHN
Montag, 3. Oktober 1910
HERMANN KAPPE und Gustav Galgenberg waren mit einem unguten Gefühl im Büro erschienen, denn es war anzunehmen, dass man die Mordkommission Kohlenplatz im Laufe der Woche auflösen und sie beide wie auch Dr. Kniehase anderen Verwendungen
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