Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
gewinnen, vielleicht war es vielmehr der Sog der einmal in Gang gesetzten Ablaufmechanik, jedenfalls rief er zur Laube hinüber, man solle mit erhobenen Händen herauskommen.
«Schwina, Weißagk, wir wissen, dass Sie sich hier versteckt halten! Jeder Fluchtversuch ist sinnlos, hier ist alles umstellt!»
Die Reaktion war nur, dass der Hund in der Laube noch hysterischer kläffte. Wenn er den auf sie losließ. .. Galgenberg zog seine Pistole, um das Tier notfalls zu erschießen. Aber erst mal treffen. ..
Die Tür der windschiefen Hütte flog auf, und Schwina kam heraus. Er trug einen ausgeblichenen blauen Bademantel und schien noch geschlafen zu haben.
«Wat soll denn det nu schon wieda?», fragte er, als er die Kriminalpolizisten erkannt hatte, jetzt um vieles lauter als sonst.
«Hier is keen Weißagk.»
Kappe hörte das nur allzu gerne. Vielleicht blieb ihm die dritte Begegnung mit seinem Mörder doch noch erspart. «Bleiben Sie da stehen, wo Sie sind, wir kommen mal nachsehen. Und sperren Sie Ihren Köter ein.»
Er wartete, bis Schwina das getan hatte, dann zog er seine Browning-Pistole und ging voraus. Galgenberg, auf seine Sicherung bedacht, folgte ihm in drei Schritten Entfernung.
Ein erfahrener Kriminaler hätte den Fehler, den Kappe jetzt machte, bestimmt nicht begangen, aber Kappe war nun einmal ein Neuling, und ein Vorgesetzter, der die Dinge nicht so laufen ließ, wie von Canow es tat, hätte ihm diese Aufgabe nie und nimmer übertragen. Canow war wohl davon ausgegangen, dass Galgenberg der eigentlich Agierende sein würde, doch der war ein durch und durch bequemer Mensch und immer froh, wenn ein anderer seine Arbeit übernahm.
Kappe also betrat Schwinas Laube, ohne vorsichtig hinter die Eingangstür zu schauen. Einen Atemzug später spürte er den Lauf einer Waffe im Rücken und hörte Weißagk sagen, er möge seine Pistole fallen lassen.
«Sofort, sonst knallt’s! Und ehe Ihr Kollege abgedrückt hat, sind Sie schon ein toter Mann.»
Kappe musste tun, was ihm befohlen worden war, und Galgenberg blieb nichts anderes übrig, als hilflos zuzusehen, wie der Verbrecher Kappe zum Umkehren zwang.
«Aus der Laube raus», befahl er. «Den Gartenweg entlang, auf den Hauptweg hinaus, zur Straße hin.»
Die Schutzleute, die Schwinas Laube umstellt hatten, waren ebenso hilflos wie Galgenberg. Sicher, sie konnten Alfons Weißagk niederschießen, aber um selber abzudrücken und Kappe zu töten, würde er noch Zeit genug haben.
Kappe ergab sich in sein Schicksal. Es kam nur, wie es kommen musste, er hatte es von Anfang an gewusst. Er kannte das vom Tierreich her, hatte es am Scharmützelsee oft genug gesehen: Kein Frosch zappelte mehr, wenn die Schlange ihn gepackt hatte und dabei war, ihn hinunterzuwürgen. Die Natur hatte das so eingerichtet. Fressen und gefressen werden, ja, aber das Opfer sollte sich nicht unnütz quälen.
Erst als sie auf der Sickingenstraße waren, konnte Kappe seine Lähmung überwinden. Aber die Folge war nicht, dass er nun klar denken konnte, sie bestand nur in einer Panikattacke. Wenn er jetzt sterben sollte. .. Nein! Er war doch noch so jung und hatte noch so viel vor sich: Klara heiraten, Kinder haben, Leiter einer eigenen Mordkommission werden, im Scharmützelsee schwimmen. ..
Weißagk riss ihn aus seinem Tief. «Zum Bahnhof Beusselstraße, aber Tempo!»
Kappe wollte etwas erwidern, brachte aber zunächst kein Wort hervor, sein Hals war wie zugeschnürt. Mit einer Stimme wie Flüster-Fritze stieß er schließlich die Frage hervor, was das denn solle.
«Wir fahren beide zusammen zur Grenze», antwortete ruhig Weißagk. «Nach Russisch-Polen.»
Kappe konnte erst einmal aufatmen. Weißagk würde ihn also nicht so schnell erschießen, er brauchte ihn als Geisel. Zwar war es ein entsetzlicher Gedanke, mit ihm zusammen, als wären sie siamesische Zwillinge, über Hunderte von Kilometern zu reisen, aber immerhin blieb er am Leben. Doch wie sollte das gehen? Irgendwann musste Weißagk ja auch schlafen. Er würde ihn fesseln und ihr Abteil verrammeln. Und dann, hinter der Grenze? Dann hatte er seine Schuldigkeit getan, und Weißagk würde kurzen Prozess mit ihm machen.
Das alles schoss Kappe durch den Kopf, als sie die Sickingenstraße entlanggingen. Weißagk hielt sich links hinter ihm, vielleicht einen halben Schritt zurück, und drückte ihm den Lauf seiner Pistole ständig in den Rücken. Drückte er ab, dann fuhr die Kugel Kappe von schräg unten direkt ins Herz. Wer nicht
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