Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
einen Augenblick nach der Übersetzung suchen. «Sie meinen Hämorrhoiden?»
In diesem Augenblick klopfte es an ihre Tür. Galgenberg ließ sein Toilettenpapier schnell wieder verschwinden und rief dann:
«Kommen Se rein, können Se rauskieken!»
«Nicht doch!», zischte Kappe. «Wenn das nun von Canow ist!»
Es war aber nicht ihr Vorgesetzter, der in der Tür erschien, sondern Gottfried Kockanz.
Erstaunt blickten sie den Kohlenhändler an. Was wollte der noch hier, die Sache mit Paul Tilkowski war doch zu den Akten gelegt?
«Ich möchte eine Aussage machen», erklärte Kockanz, nachdem sie das Begrüßungsritual vollzogen hatten.
«Den Mordfall Tilkowski betreffend?»
«Nein, es geht um den Mann auf dem Fahndungsplakat, der in Storkow auf einen Kriminaler geschossen hat.»
Kappe fuhr hoch. «Sie kennen den Mann?»
«Ja, der war ein paar Monate Hausdiener bei mir, ein gewisser Alfons Weißagk. Plötzlich war er weg, mit viel Schmuck und Geld.»
«Da können Sie noch froh sein, dass er Sie nicht umgebracht hat», sagte Galgenberg.
Jetzt wurden Kappe die Zusammenhänge klar. Er sah Kockanz an. «Dann war das also gar kein Zufall, dass ich ihm letzten Mittwoch in der Schloßstraße begegnet bin, als ich noch einmal wegen Tilkowski mit Ihnen sprechen wollte, da ist er aus Ihrem Haus gekommen.»
«Ja, er sollte mir Prospekte der Terraingesellschaft holen, für Frohnau.»
«Dabei ist er mir dann in die Arme gelaufen, und nach der Szene auf dem U-Bahnhof Sophie-Charlotte-Platz musste er so schnell wie möglich verschwinden. Nicht ohne vorher bei Ihnen alles mitgehen zu lassen.»
«Haben Sie denn eine Ahnung, wo er stecken könnte?», fragte Galgenberg.
«Deswegen bin ich ja hier.» Kockanz zeigte sich sehr kooperativ. «Hier, das habe ich noch in einer alten Zeitung gefunden, das müssen Ihre Kollegen übersehen haben. Hier auf dem Rand steht ein Name gekritzelt, Schwei. .. oder so.»
«Das heißt Schwina!», rief Hermann Kappe. «Flüster-Fritze.
Haben Sie herzlichen Dank, Herr Kockanz.»
Da immer noch mehrere Hundert Schutzleute in Moabit zusammengezogen waren - man wusste ja nie –, war es für die verantwortlichen Herren im Polizeipräsidium ein Leichtes, das Laubengelände an der Sickingenstraße umstellen zu lassen, um Alfons Weißagk keine Chance zur erneuten Flucht zu geben. Ob er sich aber wirklich in der Laube seines Freundes Friedrich Schwina versteckt hatte, wusste niemand. Es gab kein anderes Mittel, dies herauszufinden, als Kappe und Galgenberg auf das Grundstück zu schicken und nachsehen zu lassen.
«Wir haben doch gar nicht Himmelfahrt», sagte Galgenberg.
«Was soll da so ’n Kommando?» Er sah Kappe an. «Haben Sie denn wieder ihr Schild in der Brusttasche stecken: Halt! Habe ich auch nichts vergessen?»
«Mist, das habe ich wirklich vergessen.» Kappe war da schon ein wenig abergläubisch und hätte das Schild gern bei sich gehabt.
«Ach, Unsinn, so etwas wiederholt sich doch nicht.»
«Keine Ritter ohne Schild», sagte Galgenberg. «Ich würde schon gern eines vor mir her tragen, denn wenn man Pech hat, verliert man das Wasser aus der Kiepe.»
Kappe spürte mit Entsetzen, dass er am ganzen Körper zitterte, als sie vor Schwinas Gartenzaun standen. Gott, wenn Galgenberg das mitbekam! Feigheit vor dem Feinde nannte man das, und wer mit diesem Stigma versehen war, konnte alle hochfliegenden Pläne vergessen. Da konnte er gleich freiwillig zur Inspektion F gehen und Verstöße gegen die Gewerbe- und Konkursordnung bearbeiten - mit Ärmelschonern und einem Kopierstift als Waffe. Es war eine bittere Erkenntnis für Kappe, doch es änderte nichts: Er hatte eine wahnsinnige Angst vor diesem Weißagk. In Storkow wäre er um ein Haar von ihm erschossen worden, im Bahnhof Sophie-Charlotte-Platz seinetwegen fast von der U-Bahn zermalmt worden - und jetzt stand ihre dritte Begegnung ins Haus, der dritte Anlauf des Verbrechers, ihn zur Strecke zu bringen.
Kappe musste sich am Pfosten des Gartentors festhalten, so weich waren ihm die Knie geworden, so stark hatte ihn der Schwindel gepackt. Er hätte sich selbst verprügeln können wegen seiner Schwäche und schalt sich einen Ritter von der traurigen Gestalt. Sein Organismus forderte unerbittlich, dass er sich umdrehen und die Flucht ergreifen sollte, sein Organismus wollte ihm das Überleben sichern. Doch Kappe hielt stand. Vielleicht waren es gar nicht primär seine inneren Kräfte, die ihm halfen, diesen Kampf gegen sich selber zu
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