Es gibt kein nächstes Mal
arrangieren, die sie tief in ihrem Innern begraben hatte. Eine Traurigkeit,
die sie mit Daisy verband.
Eine Zeitlang saßen sie schweigend da.
Dann sagte Daisy sehr leise: »Was glaubst du,
warum Estella sich umgebracht hat?«
Gemma sah auf ihre Armbanduhr.
»Ich muß jetzt gehen«, sagte sie.
»Nein. Du kannst jetzt nicht gehen«, sagte Daisy
verzweifelt. »Doch nicht ausgerechnet jetzt, um Gottes willen.«
»Daisy, in fünf Minuten habe ich ein Treffen mit
meinem obersten Boß. Ich kann nicht einfach mein Leben anhalten, weil es dir
gerade so paßt.«
»So habe ich es nicht gemeint...«, stammelte
Daisy.
Sie hatte geglaubt, die Schranken fielen und
Gemma käme ihr allmählich etwas näher. Jetzt schien sie wieder so distanziert
und abweisend zu sein wie eine Fremde, der sie in der U-Bahn versehentlich auf
die Zehen getreten war.
»Wann sehe ich dich wieder?« fragte Daisy und
gestand beinah atemlos: »Ich fürchte mich davor, dich jetzt gehen zu lassen.«
Sie klammerte sich an Gemmas Arm.
Gemma sah Daisys Hand an. Ihre Hände hatten sich
nicht verändert. Sie waren klein und rund, und sämtliche Nägel waren abgekaut.
Sie spürte, daß sie ein wenig nachgab. »Ich rufe dich im Lauf des Wochenendes
an«, sagte sie. »Ganz bestimmt.«
Sie beugte sich vor und küßte ihre Schwester auf
die Wange. Daisys Haut war so zart wie ein Pfirsich, und der Duft von
Babyseife, der von dem Rotweingeruch überlagert wurde, drang in ihre Nase.
Daisy schlang die Arme um sie, preßte sie eng an
sich, begrub ihre Nase an Gemmas Schulter und fing an zu weinen.
»Jetzt hör schon auf, Dodo, es ist doch alles
gut«, sagte Gemma und tätschelte verlegen ihren Rücken. Sie sah sich besorgt in
dem Restaurant um. Niemand schien auch nur das geringste Interesse an der Szene
zu zeigen, die Daisy ihr machte. »Es ist alles in Ordnung, du brauchst nicht zu
weinen«, sagte sie sanfter. »Igitt, Daisy, putz dir bloß nicht die Nase an
meinem Pullover ab!« fügte sie hinzu, als Daisy lautstark schniefte.
12
»Schön und gut, dann hast du eben einen
Lamborghini zu Hause in der Garage stehen, aber das hält dich doch bestimmt
nicht davon ab, mit dem Alfa eines Freundes eine Spritztour zu unternehmen?«
sagte Nigel.
Die anderen Männer lachten. Obwohl Oliver am
selben Tisch saß, schien er eine gewisse Distanz zu ihnen zu wahren. Er hörte
dem Gespräch zu, nahm aber nicht daran teil. Er warf Daisy einen flüchtigen
Blick zu, als sie auf den Tisch zukam.
»Was ist mit dir, Oliver?« fuhr Nigel fort. »Du
hast zu Hause eine Luxuskarosse stehen, aber gerätst du jemals in Versuchung,
einen Tag lang auf dem Silverstone-Ring rumzukurven?«
»Ich finde, der Ferrari-Testarossa-Spiegel ist
in diesem Gespräch etwas zu hoch angestiegen«, erwiderte Oliver.
Die anderen lachten.
»Hallo, alle miteinander!« sagte Daisy.
Sie drehten sich um. Erst als sie die unsteten
Blicke auf den Gesichtern der Männer sah, begriff sie, daß sie in Wirklichkeit
gar nicht über Autos gesprochen hatten.
»Was darf ich dir besorgen?« Nigel sprang auf
und bot ihr seinen Platz an.
»Ach, ich weiß nicht so recht. Ich habe schon
den ganzen Nachmittag über getrunken. Vielleicht ein Glas Rotwein.«
»Bist du sicher? Der Rotwein ist sehr herb
hier.«
»Ich glaube nicht, daß ich den Unterschied
schmecken werde«, sagte Daisy, als sie sich setzte.
»Seht euch bloß vor, Jungs«, flüsterte Nigel,
während er ihr liebevoll das Haar zerzauste, »denn sonst könnte es passieren,
daß ihr nächsten Monat in Six Pack zitiert werdet.«
Daisy saß so geduldig da wie ein Hund, der
getätschelt wird. Nigels Aufmerksamkeiten waren ihr unangenehm. Er gehörte zu
der Sorte Mann, die sie durch und durch verabscheute. Anfang Vierzig,
einsetzende Fettleibigkeit durch einen ungesunden Lebenswandel, stets ein wenig
verschwitzt. Er sah aus, als würde er riechen, obwohl er es nicht tat. Er hatte
kein Gefühl für körperliche Schranken, oder vielleicht, sagte sie sich
manchmal, wußte er auch, wie zudringlich er war, und seine Berührungen und sein
Betatschen waren eine Art Herausforderung, ein Erproben der Machtverhältnisse.
Daisy bemitleidete sämtliche Frauen, die in dem Büro arbeiteten. Nigel, der im
Gespräch in einem Pub und nach dem Essen in einem Restaurant die Reife eines
unsensiblen Elfjährigen aufwies, war der Boß der Anwaltskanzlei, in der Oliver
Juniorpartner war. Nigel hatte eine gute Privatschule besucht, doch er beharrte
darauf, mit dem
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