Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es grünt so grün

Es grünt so grün

Titel: Es grünt so grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ward Moore
Vom Netzwerk:
schien zu belegen, daß es nicht von der dolchförmigen Landmasse direkt im Norden des Kontinents gekommen war.
    La Prensa in Buenos Aires meinte in einem langen Leitartikel unter der Überschrift „Betrügt die Menschheit sich selbst?“: „Als der Koloß im Norden von dem üblen Zauber ergriffen wurde, atmeten viele Amerikaner (außer vielleicht unsere Freunde jenseits des Plate) leichter. Nun sollte man meinen, ihre Freude sei verfrüht gewesen und der Untergang des Yankees auch der Untergang unserer viel älteren Kultur. Wie gelangte diese grüne Seuche von einem Kontinent zum anderen? Das ist die Frage, die jedes menschliche Herz zwischen der Antarktis und der Karibik quält.
    Es gibt die Ansicht, der Kordon um Nordamerika sei nicht völlig respektiert worden. Wissenschaftler mit den edelsten Motiven und Abenteurer mit den niedrigsten sollen gleichermaßen den verbotenen Kontinent betreten haben. Es ist sehr wohl möglich, daß bei einem dieser Ausflüge die Samen des riesenhaften Cynodon dactylon mit zurückgebracht wurden. Es ist kein Geheimnis, daß die Agenten eines bestimmten Yankee-Kapitalisten die Angewohnheit haben, rätselhafte Reisen genau in der Nähe jener Stelle zu unternehmen, die jetzt von der smaragdgrünen Plage befallen ist.“
    Das war eine gemeine Anspielung, und ich hatte so etwas als untrennbare Folge meiner Position schon lange kommen sehen. Die Lateinamerikaner waren von allen Menschen als die notorisch undankbarsten in bezug auf die Arbeit, die wir zur Entwicklung ihrer Länder leisteten, bekannt. In den rückständigen Landesteilen hatten die Eingeborenen sich damit begnügt, vom Jagen und Fischen zu leben, bis wir ihnen Arbeit gaben und sie bezahlten, damit sie Räucherfleisch und Dosenfleisch kaufen konnten. Glücklicherweise wurde La Prensas offensichtlich vom Neid inspirierte Anspielung nicht aufgenommen, und die Aufmerksamkeit wandte sich schon bald von dem unlösbaren Problem, wie die Kluft überwunden worden war, dem Vormarsch des Grases nach Süden zu.
    Von Anfang an ging jeder vom Sieg des Grases aus. Es gab keine gemeinsamen Bemühungen, es einzudämmen oder zu vernichten. Der Weltkongreß zum Kampf gegen das Gras war alles andere als untätig; er arbeitete geradezu heroisch, erhielt aber wenig Unterstützung von den Menschen, die am meisten betroffen waren. Als es einmal so aussah, als hätte der Kongreß eine mögliche Waffe, verweigerten die Venezuelaner die notwendigen Landflächen, und Brasilien erlaubte nicht, daß ausländische Soldaten über sein Territorium marschierten. Plötzlich nahm der Nationalismus überhand. „Wir werden als Equadorianer, Nachkommen der Inkas, sterben“, verkündete die führende Zeitung in Quito. El Gaucho, Lima, wies höhnisch darauf hin, daß der größte Teil Equadors in Wirklichkeit zu Peru gehörte und die Peruaner ohnehin die wahren Nachfahren der Inkas seien. „Wir werden als aufrechte Peruaner sterben!“ donnerte El Gaucho.
    Vergeblich wies die Kirche auf den Unterschied zwischen christlicher Ergebenheit und sündigem Selbstmord hin. Die Antwort der meisten Südamerikaner wenn sie überhaupt reagierten – war entweder, das Vorrücken des Grases als Gottes Wille zu interpretieren, oder aber die Kirche insgesamt zu schmähen. Nachahmungen von Bruder Pauls Bewegung blühten auf, und zwar mit den dem lateinamerikanischen Temperament entsprechenden Zutaten und Verfeinerungen.
    So waren die Bemühungen des Weltkongresses fast ausschließlich darauf begrenzt, jedes Schiff, jedes Flugzeug und jede Person, die den untergehenden Kontinent verließen, zu untersuchen, um sicherzugehen, daß keiner der unheilbringenden Samen eingeführt wurde. Selbst diese Vorsichtsmaßnahme wurde als Verletzung der nationalen Souveränität abgelehnt, aber die Ablehnung beschränkte sich auf säbelrasselnde Erklärungen in den Zeitungen; die Staaten sahen teilnahmslos zu, während ihre Ehre systematisch von phlegmatischen Inspektoren verletzt wurde.
75.

    Das Gras wuchs im tropischen Tal des Amazonas zu bis dahin unbekannten Höhen. Es überspülte die Hänge der Anden, so wie es die Kordilleren und die Rockys eingenommen hatte, und ließ nur die höchsten Gipfel frei. Es raste über die Llanos, die Savannen und die Pampas und bedeckte die Hochebenen in unerbittlichem Wachstum.
    Die Menschen rannten vor dem Gras nicht gradlinig von Nord nach West davon, sondern mit Umwegen, indem sie erst zu den Küsten strebten und dann das betreffende Land verließen.

Weitere Kostenlose Bücher