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Es grünt so grün

Es grünt so grün

Titel: Es grünt so grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ward Moore
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Diejenigen Nordamerikaner, die dem Gras schon einmal entkommen waren, begnügten sich nicht mit halbherzigen Maßnahmen, wenn ihr Heim verloren war. Sie kauften Überfahrten auf jedem Schiff, das auch nur dem Anschein nach seetüchtig war, und steuerten möglichst weit entfernte Ziele an.
76.

    Was den Zeitablauf betrifft, so bin ich jetzt etwa bei der Hälfte meiner Geschichte angelangt. Es ist schwer zu glauben, daß erst elf Jahre vergangen sind, seit das Gras Südamerika erobert hat; es ist sogar äußerst schwierig für mich, die dazwischen liegenden Jahre zu rekonstruieren. Nicht etwa, weil sie hart oder unangenehm gewesen wären – im Gegenteil, sie trugen mich von einem Erfolg zum nächsten – , sondern weil sie in der Erinnerung wie ein Traum sind, unwirklich, flüchtig, vage und quälend.
    Wie ein Traum war auch das tatsächliche Vordringen des Grases. Wir alle waren, glaube ich, von dem Gefühl der Wiederholung beeindruckt, von einer Szene, die immer und immer wieder aufgeführt worden war. Dieser Ablauf läßt meine Geschichte – jetzt, da ich auf sie zurückblickte – gewissermaßen verzerrt wirken, denn keiner, der sie zum ersten Mal hört und nicht, wie wohl jeder Leser dieser Worte, gründlich vertraut mit den Ereignissen ist, könnte sich die Anstrengungen vorstellen, die zur Bekämpfung des Grases gemacht wurden. Es gab diese Anstrengungen, wir ergaben uns nicht kampflos; wir kämpften um Südamerika, wie wir um Nordamerika gekämpft hatten. Aber es war ein alptraumhafter Kampf; rückblickend scheinen wir wie gelähmt gehandelt zu haben …
    Das Gras griff nach dem nördlichen Vorsprung des Kontinents, zwang ihn in Unterwerfung und bahnte sich seinen Weg nach Süden bis zur schmalen Spitze. Es trieb die Bewohner vor sich her und verdoppelte frühere Wirkungen, indem es einen Menschenstrom von spärlich besiedelten in dicht besiedelte Zonen schickte, Verzweiflung, Entsetzen, Panik und Verwirrung erzeugte, Pest, Hysterie und Hungersnöte.
    Das Drama wurde nicht in einem Akt, sondern in vielen gespielt; vor den Augen einer Welt, die auf den Schlußakt wartete, kroch es endlose Monate und Jahre weiter, stieg und ohne plötzliche Wechsel oder Zufallsbewegungen ließ es keine auch noch so flüchtige Hoffnung. Schließlich endete die Tragödie; der grüne Vorhang ging nieder und bedeckte den Kontinent bis zur Maghellanschen Straße. Das Gras blickte verlangend zur Tierra del Fuego, dem Land aus Eis und Feuer auf der anderen Seite, aber selbst seine Gefräßigkeit ließ, zumindest im Moment, angesichts des ungastlichen Landes nach und überließ es denjenigen, die sich dorthin geflüchtet hatten, um einem langsameren, aber ebenso sicheren Tod entgegenzusehen.
    Als Südamerika schließlich dahin war, atmete der Rest des Erdballs leichter. Es wäre eine Verleumdung der Menschheit zu sagen, es hätte echte Freude gegeben, als der Weltkongreß auch diesen Kontinent versiegelte, aber jedweder Kummer über seinen Verlust wurde aufgehoben durch das Gefühl, daß die Grasgefahr endgültig vorbei war. Grübelnde Deutsche, wachsame Engländer und nachdenkliche Chinesen würden nicht länger gespannt sein, ob die Superzyklongebläse tatsächlich eine wirkungsvolle Barriere bildeten; und Kubaner, Kolumbianer oder Venezuelaner würden nicht länger gespannt nach Norden schauen. Jetzt hielten Ozeane die Gefahr im Zaum, und die Welt, geschrumpft zwar und verletzt, war am Leben. Und vor allem: Zum ersten Mal, seit die mutierten Samen über den Salzstreifen geblasen worden waren, war die Welt frei von Furcht.
    Ich darf nicht den Eindruck erwecken, das Gras sei weltweit und total aus den Rechnungsbüchern der Menschheit getilgt worden. Der Weltkongreß prüfte regelmäßig Vorschläge für Gegenmaßnahmen. Auf dem Gipfel des Mount Whitney arbeitete immer noch Miss Francis. Neue Assistenten wurden zu ihr eingeflogen, wenn die alten in Anfällen von Hoffnungslosigkeit von dem alten steinernen Wetterhaus den Berg hinab ins Gras wanderten oder wenn sie verrückt geworden waren bei dem Gedanken, daß sie, außer einigen Überlebenden auf den Polarkappen, allein in einer verlassenen Hemisphäre waren, oder wenn sie einfach an Heimweh starben. In den Forschungslaboratorien von Consolidated Pemmican tüftelten die Fachleute immer noch an Formeln für die Verwendbarkeit des Grases, und beim Tod fast jeden sozial gesinnten Menschens fand sich im Testament ein Vermächtnis zur Unterstützung derjenigen, die nach Methoden suchten,

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