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Es grünt so grün

Es grünt so grün

Titel: Es grünt so grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ward Moore
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hohen Norden langsamer und ruhte schließlich ganz; dort, wo nur die kurze Wachstumszeit, die einst Kohlköpfe, groß wie Bierfässer, hervorbrachte, dem Gras gestattet hatte, in einem Tempo zu wachsen, das mit seinem Ausbreiten weiter im Süden vergleichbar war. Aber inzwischen konnte es keinen Zweifel mehr geben, daß Cynodon dactylon, das gegen Kälte einst so empfindlich war, daß es sich selbst im kaum wahrnehmbaren südkalifornischen Winter mit einer Schutzhaut bedeckte, sich an Frost gewöhnt hatte, in strengster Kälte überwinterte und voll Energie im Frühjahr wieder auftrat.
    Es erstreckte sich jetzt von Alaska bis zur Hudson Bay, bedeckte ganz Manitoba und Teile Ontarios. Es hatte sich Minnesota einverleibt, die Nordhalbinsel von Michigan, Wisconsin, einen großen Happen von Illinois und stand verblüfft, von Cairo bis zur Mündung, am Westufer des Mississippi. Die nordwestliche unterbevölkerte Hälfte Mexikos war schon überrannt, und jetzt bewegte sich das Gras verhalten in die Anwesen an der Goldküste hinein.
    Ich kann nicht behaupten, diese trügerische Sicherheit wäre genossen worden, denn es gab unglaubliches Ungemach. Obwohl der größte Teil der Kohlefelder des Lands östlich des Grases lag und trotz der großen Mengen Öl und Erdgas aus Texas kam es zu Brennstoffverknappung, hauptsächlich wegen des Zusammenbruchs des Transportsystems. Die Menschen wärmten sich, indem sie Möbel und Abfalle in provisorischen Öfen verbrannten. Natürlich bedeutete das zusätzliche Belastungen für die Feuerwehren, die ebenso wie die Allgemeinheit unter fehlenden Ersatzteilen und Benzinmangel litt, und große Feuersbrünste tobten durch Akron, Buffalo und Hartford. Die Müllabfuhren brachen zusammen, und es wurde kein Versuch gemacht, die Straßen vom Schnee zu befreien. Zerstörten Wasserleitungen, Gasrohren und Abwasserkanälen folgten Typhus, Pocken, Cholera und Beulenpest. Die Hunderte und Tausende von Toten milderten die Folgen der Übervölkerung nur in geringem Maße; denn die Epidemien raubten den Flüchtlingen, die in den schon längst geschlossenen Schulen untergebracht worden waren, ihr Obdach, als diese Gebäude zu unzulänglichen Nothospitälern gemacht wurden.
    Die im letzten Jahr so merkwürdig unangemessen erblühte Kultur welkte wieder dahin. Ein paar unbekehrbare Enthusiasten ertrugen noch, in Schals und Regenmäntel gehüllt, die eisige Kälte der Konzerthalle, eine Handvoll Maler belagerten die Künstlerbedarfläden wegen der kostbaren, noch verbliebenen Tuben mit Zinnober und Kokkusrot, während kolportiert wurde, daß in traditionell ungeheizten Mansarden orthodoxe Poeten ihre Muse mit Radiergummis nährten. Aber aller Enthusiasmus war individueller Besitz, die Reaktion einzelner Menschen mit überhöhtem Adrenalinspiegel. Arzt und Börsenmakler, Stahlwerker und Lastwagenfahrer, Arbeiter und Wäschereifahrer – sie alle verband kein gemeinsames Interesse außer der allgemeinen Angst vor dem Gras, das zwar kurze Zeit untätig, aber stets im Hintergrund aller Gedanken war. Der Strom aus Romanen, Theaterstücken und Gedichten versiegte; Verleger, erstaunt darüber, daß das, was noch vor einem Jahr gewinnträchtig war, jetzt nichts mehr abwarf, waren schließlich überzeugt und druckten nichts mehr, was entfernt an Literatur erinnerte; sogar die Zeitungen krochen mühsam dahin, die Stromversorgung der Rotationsmaschinen setzte stündlich aus, und ihre Auflage war ebenso zweifelhaft wie ihre Berichterstattung.
    Nachts waren die Straßen nicht sicherer als im London des sechzehnten Jahrhunderts. Selbst in den größten Städten war die Beleuchtung unzuverlässig, und in den kleineren hatte man sie ganz eingestellt. Überfälle durch Einzeltäter waren praktisch aufgegeben worden, vielleicht wegen des Risikos, daß ein Straßenräuber schon vom nächsten beraubt würde, wenn er sich mit seiner Beute davonmachte; jetzt machten kleine, festgefügte Banden nachts Leben und Eigentum unsicher. Alle waren über die Maßen gereizt; ertappte Einbrecher ergänzten ihr Verbrechen nur zu rasch um schwere Körperverletzung und Brandstiftung, und Streitigkeiten, die normalerweise nicht gewalttätiger als mit grausigen Schimpfworten geendet hätten, gingen jetzt oft mit Mord aus.
    Da zu viele der Obdachlosen sich das Gesetz zunutze machten und kleine Delikte begingen, um sich eine Unterkunft zu verschaffen, wurden alle Strafen unterhalb der Ebene der Kapitalverbrechen ausgesetzt. Über Häftlinge wurde

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