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Es grünt so grün

Es grünt so grün

Titel: Es grünt so grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ward Moore
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neuen Angriffsgeräts, die kurze hysterische Begeisterung für jedes von ihnen als dem letztendlichen Rettungsmittel.
    Während meiner einzigartigen Position wurde ich Zeuge all dieser Versuche. Ich sah Panzerwagen, die rotierende Pflüge zogen und andere, die mit Geräten ausgestattet waren, die Elektrodüsen glichen, aber mit Schneiden aus gehärtetem Stahl und mit der Schärfe von Rasiermessern. Das einzige, was diese Vorrichtung bewirkte, war, daß noch mehr p otentielle Wachstumkerne in den Wind gestreut wurden.
    Ich sah die Flammenwerfer, diese entsetzlichen Waffen, die die Körper von Menschen in Sekundenschnelle wie verbrannten Toast verschmoren ließen, ihr konzentriertes Feuer auf die vordringenden Ausläufer richten. Ich roch den süßlich-widerlichen Geruch verdampfenden Safts und sah, wie die Ausläufer wie schon bei früheren Gelegenheiten zusammenschrumpften und sich zurückkrümmten, bis die Flammenwerfer kein Ziel mehr hatten als die allen Blattwerks entkleideten, dicht verwobenen Stengel. Gegen diese Mauer erzielte das Feuer keine Wirkung, die Stengel verdorrten nicht, die harten Membranen zerfielen nicht, das stählerne Netzwerk zog sich nicht zurück. Es sah wie ein ausgewogenes Gefecht in einem kleinen Bereich aus, aber an der Stelle, wo das Gras auf dem Boden gebremst wurde, wuchs es wie eine schwebende Flutwelle in die Luft. Immer höher, bis ihr Wellenkamm nach vorn stürzte und die Folterer verschlang.
    Dann ging der ungehemmte Vormarsch weiter; erneut wurde irgendein Mittel dagegen eingesetzt, erneut wurde das Gras einen Moment lang aufgehalten; und erneut besiegte es allen Hindernissen zum Trotz seinen Gegner, nahm unterschiedlos gichtische Pensionshäuser und kupplerische Clubhäuser („17 großartige Schlafzimmer“) zu sich, verschlang Würstchenbude und Spielhölle, Tante-Emma-Laden und Supermarkt; nichts hemmte seinen Weg.
    Wenn man sagt, ein Haufen Unkraut greift eine Stadt an, spricht man eine Absurdität aus. Ich glaube, jeder war sich der ungeheuren Diskrepanz zwischen der Beschreibung des Geschehens und dem Geschehen selbst bewußt. So unschuldig und lächerlich sah das Gras aus, als es seine ersten tastenden Bewegungen auf die urbanen Nervenbahnen zu machte; die grünen Halme umfingen den Betonbusen der Straße wie ein hübsch gestaltetes, aber doch phantasieloses Blüschen. Man konnte einfach nicht glauben, daß diese scheinbar so zerbrechlichen Strähnen dem Auftritt eines achtlosen Stiefels widerstehen konnten, von dem gesamten Arsenal militärischer und biologischer Mittel ganz zu schweigen. Diese trügerische Zerbrechlichkeit muß es gewesen sein, die die Zuversicht so vieler Menschen zerbrach.
    Eine Meldung im Intelligencer erinnerte mich an einen von Mrs. Dinkmans Nachbarn, der die Gelegenheit, seinen Rasen mit dem Metamorpher behandeln zu lassen, barsch zurückgewiesen hatte. Er hatte bei seinem Selbstmord eine zusammenhanglose Nachricht hinterlassen: „Tauben im Gras, was tut’s? Zu viele Tauben, zuviel Gras. Tauben sind sanft, doch Noah schickte einen Raben. Widerspruch lügt. Rosen sind rot, Tauben behende. Gras ist grün, und ich bin am Ende. Dä-dä-dä. Ihr lieben Kleinen.“ Dann schritt er unter den Augen der hilflosen Unkrautbekämpfer in das Gras hinein und wurde nicht mehr gesehen.
    In den folgenden Tagen folgten diesem Selbstmord so viele weitere, daß das Gras in den Zeitungen als der „Grüne Horror“ populär wurde. Vielleicht wirft es ein bezeichnendes Schlaglicht auf menschliche Sonderlichkeit, daß die meisten der Selbstmörder sich dafür entschieden, sich nicht in der ursprünglichen Hauptmasse des Grases, sondern in einem der vielen kleineren Kerne zu opfern, die in nächster Nähe entsprangen.
    Zufällig konnte ich das Zusammenwachsen zweier solcher Abkömmlinge des Grases beobachten. Sie waren nur wenige Häuserblocks voneinander entfernt entstanden; verständlicherweise wurde ihre wahre Natur erst erkannt, als sie schon außer Kontrolle waren und die Umgebung ihres Ursprungsorts überdeckt hatten. Sie krochen mit geradezu inzestuöser Anziehungskraft aufeinander zu, bis nur noch wenige Meter sie trennten; zögernd hielten sie inne, die Ausläufer krochen tastend voran, die grünen Ranken überlagerten sich gegenseitig wie verschränkte Finger, dann kamen sie mit wachsender Geschwindigkeit zusammen, wie ein Kartenspiel in der Hand eines gewandten Mischers sich Blatt unter Blatt fügt, um schließlich ein festes, unteilbares Ganzes zu bilden.

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