Es ist ja so einfach
Grasfläche raste ein großer, an sich freundlicher Neufundländer, der eigentlich in einem der Zwinger eingesperrt sein sollte. Im Maul trug er eine offenbar aus einem Wohnwagen oder einem Zelt gestohlene Hammelkeule. In verzweifelter Jagd rannte der junge Mann, dem das Fleisch höchstwahrscheinlich gehörte, ihm nach, und hinter ihm lief Trina, lachend, aber voller Tatendurst. Ihr nach keuchte Andy, Worte murmelnd, die — so hoffte ich — die Kinder nicht hörten, und an der Tür zu seiner Wohnung stand Venedig, die, großartig tugendsam, tadelnd knurrte.
Sie liefen in einem weiten Kreis; der Hund blieb trotz seiner Bürde, deren Ende er durchs Gras schleifte, tapfer an der Spitze. Durch den Zaun an John Muirs Grundstück und dahinter lief ein Streifen einer umgepflügten früheren Koppel. Zu meinem Schrecken schien der Hund plötzlich zu glauben, sich dorthin retten zu können, denn er sprang glatt durch die Zaundrähte. Eine Minute wurde er jedoch festgehalten, da seine Beute sich im Draht verfing, und so konnten die Verfolger aufholen. Doch gerade, als sie gegen den Zaun vordrangen, riß der Hund die elende Hammelkeule aus dem Draht los und rannte über die weiche Erde, wobei das Fleisch wieder am Boden schleifte. Nun aber teilten sich die Verfolger und verlegten ihm den Weg. Trina gelang es, den Hund am Halsband zu packen und ihn zu >überzeugen<, daß sein Spiel verloren war und er die schauderhaft aussehende Keule hergeben mußte. Sie war von Staub und Erde verschmiert und an einem Ende zerkaut, doch ich hörte Trina vergnügt zu dem Eigentümer sagen: »Schauen Sie, kaum beschädigt. Bloß ein Stückchen fehlt. Ist das nicht glänzend? Kommen Sie mit, ich wasche sie Ihnen ab.« Da er ein Mann war und jung dazu, schloß die Szene in Freundschaft und Gelächter.
Am Abend gingen Peter, Trina und ich, wie üblich, schwimmen. So gern wir badeten — uns bot sich dafür Gelegenheit nur, wenn der Strand leer war und die Gäste sich bei den Bemühungen um die Zukunft ihres Abendessens stritten. Und selbst dann hatten wir selten Frieden, obwohl Andy, der aufs Schwimmen keinen Wert legte, sich an den Strand setzte, um Störenfriede abzuwehren. Dies war Venedigs große Stunde. Fast den ganzen Tag räkelte sie sich zufrieden, aber gelangweilt im Hause oder in Andys kleiner Wohnung, weil wir entschieden hatten, daß, wenn die übrigen Lieblinge eingeschlossen sein mußten, auch unserer nicht frei herumlaufen dürfe. Aber sobald wir uns zum Schwimmen bereitmachten, nahm Andy sie an die Leine, und in wildem Galopp zerrte sie ihn bis ans Wasser, da auch sie liebend gern badete.
Als sie uns schwimmen sah, tat sie sehr erschrocken und warf sich heldenhaft und ohne mit der Wimper zu zucken, in die See, um uns zu retten. Ihre Methode war, uns am Badeanzug zu packen und ans Gestade zu schleppen, wobei sie uns ein paarmal untertunkte. Einmal faßte sie versehentlich Peter bei seinem Haarschopf, und das endete, so sehr Peter sie liebte, für Venedig unerfreulich. Andy hatte seinen Spaß an diesen Possen. Er saß kichernd im Sand und tat, als riefe er den Hund ab, während ihn in Wirklichkeit Venedigs Klugheit ungeheuer erfreute.
Am selben Abend wurden wir von durchdringendem Lärm bei den Zelten und von der Stimme Mrs. Brooks’ aufgeschreckt, die in höchsten Tönen der Entrüstung nach ihren Sprößlingen rief. »Wo ist Nancy? Wo steckt meine Tochter?« Trina kicherte. »Im Camp jedenfalls nicht«, flüsterte sie mir zu. »Ich sah sie mit einem der reizenden Boys wegschleichen, als Mama ihr den Rücken zudrehte. Das gönne ich ihr. Diese Mama ist eine Tyrannin, sie treibt ihre Mädchen förmlich zu Dummheiten.«
Schon kam Mrs. Brooks, schnaubend wie ein Streitroß, an den Strand gelaufen und verlangte zu wissen, ob jemand Nancy gesehen habe. Sie dachte wohl, wir steckten mit ihren Töchtern unter einer Decke. Seufzend gab ich das Schwimmen auf und watete zum Strand, um dieser schrecklichen Frau zu versichern, daß es zur Aufregung keinen Anlaß gab. Wahrscheinlich sei Miss Nancy spazierengegangen. Sie sei ja alt genug, um sich in acht zu nehmen.
Als es zehn wurde, fand ich, daß meine Behauptung doch wohl zu optimistisch gewesen war, denn Nancy fehlte noch immer, auf dem ganzen Zeltplatz schien es zu gären, und Mrs. Brooks sprach schon von gewaltsamer Entführung. Ich versuchte, ihr klarzumachen, daß es zwecklos sei, jetzt schon — durch unser frisch installiertes Telefon — die Polizei anzurufen — da hörte ich
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