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Es klopft

Es klopft

Titel: Es klopft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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Behandlungsdauer abgelaufen, und heute Nacht war er um drei Uhr erwacht, weil es geklopft hatte.
    Ein klein wenig kam ihm der Tinnitus allerdings auch gelegen, diente er doch zur Maskierung seiner Besorgnis, die etwas anderem galt. Julia gegenüber hatte er gesagt, er empfinde es als Niederlage seiner ganzen Tätigkeit als Ohrenarzt, dass er nun selbst zum Opfer eines Symptoms werde, das er so oft erfolglos zu behandeln versucht habe.
    Was er selbst denn einem Patienten mit Klopfgeräuschen geraten habe, hatte ihn Julia gefragt.
    Einfacher seien natürlich die rauschenden und sirrenden Hörstörungen, sagte Manuel, sogar Eisenbahnen und Motorengeräusche, die an- und abschwellen, seien leichter zu ertragen, weil sie den akustischen Hintergrund unseres Alltags bilden, aber Klopfen und Hämmern gehöre zum aggressiveren Teil und habe ihn immer besonders ratlos gemacht. Eine Frau, und jetzt musste Manuel ein bißchen lachen, eine Frau vom Zürichberg übrigens, die mit einem Hammerschlag-Tinnitus zu ihm gekommen sei, habe ihm auf seine Nachfrage hin sofort gesagt, dass sie eigentlich am liebsten eine Lehre als Schreinerin gemacht hätte, aber dann ins Gymnasium gesteckt worden sei, und der habe er empfohlen, sich eine kleine Werkstatt einzurichten und mit Schreinern zu beginnen, was sie auch getan habe, und tatsächlich habe sie sich durch die Geräusche weniger gestört gefühlt, und wenn er sich recht erinnere, seien sie sogar ganz verschwunden, dies sei schon länger her, gehöre aber zu seinen wenigen Highlights auf diesem Gebiet.
    Natürlich fragte ihn Julia sogleich, wie es denn bei ihm
sei, ob er vielleicht auch eine verborgene Schreinerseele habe, doch Manuel hatte von jeher eine Abneigung gegen das Handwerken gehabt, er brachte es schon beim Einschlagen von Bildernägeln fertig, sich auf den Daumen zu hauen oder den Hammer fallen zu lassen, so dass sich die Frage erübrigte. Das feine Führen von Operationsbesteck allerdings war eine andere Klasse von Begabung, über die er durchaus verfügte.
    Julias Frage nach einer psychotherapeutischen Beratung hatte Manuel ziemlich schroff verneint, er sei ja wohl kein Psychiatriefall, war seine Antwort, und Julia wusste, dass es sinnlos war, weiterzubohren.
    Aber langsam befürchtete er tatsächlich, er könne einer werden, denn sein veränderter Zustand musste so offensichtlich sein, dass er nicht einmal ihrer Putzfrau entgangen war, obwohl sie ihn in dieser Zeit höchstens zweimal gesehen hatte.
    Heute war Freitag Abend, und Mercedes war nur seinetwegen gekommen. Sie hatte Julia gefragt, ob sie für den Doktor eine Mesa machen dürfe, um ihm gute Kräfte zu schicken, und Julia hatte die Frage an Manuel weitergereicht, zusammen mit der Erklärung, dass eine Mesa ein kleines Brandopfer für die Pachamama sei, den großen Geist der Natur.
    Ob sie ihm das Haus anzünden wolle, hatte Manuel gefragt, und Julia hatte ihm von den vielen kleinen Salzteigfigürchen erzählt, die sie auf dem Markt in Cochabamba an den Ständen der Zauberer gesehen hatte, und die sich die Menschen kauften, um durch ihr Verbrennen die Erfüllung eines Wunsches zu erwirken. Der beste Tag für ein solches Opfer war der Freitag, und der beste Ort dafür war Manuels
Arbeitszimmer, und so hatte er auf Drängen Julias mit einem Achselzucken und den Worten »Gut, dann machen wir das!« versprochen, am Freitag Abend da zu sein.
    Nicht dass er sich wirklich etwas davon versprach, er hatte mit indianischen Ritualen schon zweifelhafte Erfahrungen gemacht.
    Unter Esoterikanhängern war es zum Beispiel Mode geworden, einen Propf mit einer sogenannten Ohrkerze auflösen zu wollen, worunter ein Wachsröhrchen zu verstehen war, das man sich ans Ohr hielt und dann das Ende anzündete. Die Hopi-Indianer, so hieß es, lockten so durch die entstehende Wärme und den Luftsog das Schmalz aus dem verstopften Gehörgang. Das mochte zwar in leichten Fällen gelingen, aber er hatte auch schon heikle Verbrennungen des Trommelfells behandeln müssen, die durch geschmolzene Wachstropfen entstanden waren.
    Hier handelte es sich jedoch um etwas anderes, in dem er keine Gefährdung sah, und da er sich im Umgang mit Tinnitus eine pragmatische Haltung angewöhnt hatte, war er mit ein bisschen Rauch in seinem Zimmer einverstanden. Auch Julias Argument, damit könne er Mercedes eine Freude machen, hatte ihm eingeleuchtet. Mercedes wusste wohl, was sie an ihm und Julia hatte, und war erpicht darauf, ihrerseits einmal etwas Besonderes

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