Es klopft
man seine Ideen auch umsetzen könne und dass sie etwas taugen. Sie finde es natürlich schade, wenn Anna nicht mehr spielen wolle, aber wenn sie sich das überlegt habe, sei es wohl richtig, dass sie so weitermache, man könne ja nie wissen, was noch alles komme.
Allerdings, sagte Anna, das wisse man wirklich nie, und sie habe Mirjam treffen wollen, weil sie ihren Rat brauche.
Das mit der Regieklasse halte sie für einen guten Weg, sagte Mirjam.
Darum gehe es nicht, sagte Anna, es gebe da ein größeres Problem.
Mirjam war erstaunt. Was denn das für ein Problem sei?
»Ich bin schwanger.«
Mirjam ergriff ihre Hand.
»Von Thomas?« fragte sie leise.
Anna nickte. »Ein Missgeschick. Ungeschützt, am Ende meiner Mens.«
Mirjam war baff. Lange Zeit sagte sie nichts, ließ aber Annas Hand nicht los.
»Seit wann weißt du es?«
»Seit vierzehn Tagen.«
»Und weiß es Thomas?«
»Ja, und deine Eltern auch. Und jetzt weißt es auch du.«
»Danke«, sagte Mirjam und streichelte Annas Hand. »Und jetzt? Was machst du?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht.«
Dann erzählte sie Mirjam, dass sie zuerst gedacht habe, sie wolle es austragen, dass dann aber Thomas sein Praktikum in Mexiko bekommen habe, das von Sommer bis Weihnachten gehe und dass er dann wohl etwa zur Zeit der Geburt zurückkäme und sie den entscheidenden Teil der Schwangerschaft ohne ihn bestehen müsste und überhaupt, wie sollte sie mit einem Kind die Schule weitermachen, und wenn sie im Sommer ein Jahr aussetzen würde, hätte sie Angst, den Anschluss zu verpassen. Und außerdem hätten sie und Thomas überhaupt nie davon gesprochen, wirklich zusammenzubleiben, es sei einfach sehr schön gewesen mit ihm, und das alles sei so schwierig.
»Aber du könntest es dir wegmachen lassen.«
»Sicher könnte ich das, und euer Vater hat Thomas schon die Adresse eines Kollegen gegeben und der Psychiaterin, die mir das Gutachten machen würde.«
Wie denn ihre Eltern reagiert hätten, wollte Mirjam wissen.
Thomas habe ihr erzählt, dass die Mutter ihre Hilfe versprochen habe für den Fall, dass dieses Enkelkind zur Welt käme, während der Vater ganz entschieden für eine Abtreibung gewesen sei.
»Er will wahrscheinlich nicht Großvater werden, das gleicht ihm«, sagte Mirjam, »aber dass Mutter dabei wäre, finde ich schön.«
Und wie Thomas reagiert habe?
Der habe sich zuerst gefreut und es als Zeichen angesehen, dass sie beide zusammengehörten, aber als das Praktikumsangebot aus Mexiko gekommen sei und auch als sie darüber gesprochen hätten, was es für ihre Ausbildung bedeute, sei er zunehmend unsicher geworden. Weder er noch sie seien ja mit ihrem Studium zu Ende.
Da wären sie natürlich nicht die einzigen, sagte Mirjam.
Ja, sagte Anna, aber das mache den Entscheid nicht leichter.
Sie seufzte, Mirjam seufzte auch, der Trommler begann zu seinen Rhythmen auch noch zu singen, lange, hohe Töne mit nur wenigen Variationen, weiter gegen den See hin bildete sich ein Gekreisch und Geflatter von Möwen um eine ältere Frau, die mit einem kleinen Kind Brotstücklein in die Luft warf.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Außer dass es für mich eine Megafreude wäre, wenn du zu unserer Familie kämst und mir eine Nichte oder einen Neffen mitbrächtest.«
»Sicher?«
»Sicher. Aber entscheiden musst natürlich du selbst.«
Es sei zuviel für sie, sie komme allein nicht weiter.
Mirjam hatte eine Idee. »Wir gehen in die Gessnerallee rüber. Ich habe noch den Schlüssel zum kleinen Proberaum, da ist heute sicher niemand.«
»Und dann?«
»Dann proben wir zwei Szenen.«
Eine halbe Stunde später saß Mirjam auf einem Klappstuhl vor einem Podest, und Anna saß auf dem Podest an einem Tisch. Eine Stehlampe daneben war das einzige Licht im verdunkelten Raum. Ein zweiter Stuhl am Tisch war leer.
»Also«, sagte Mirjam, »wir machen ein Minidrama. Es heißt ›Die Abtreibung‹. Du bist eine junge Frau, die schwanger wurde und bei einer Psychiaterin ist, von der sie eine Bescheinigung will, dass sie ihr Kind abtreiben darf. Wir sind an der Stelle, wo dich die Psychiaterin gefragt hat, ob du es dir gut überlegt hast und ob du wirklich keinen andern Weg siehst. Bitte.«
Anna schaute schweigend auf den Tisch, eine Minute, zwei Minuten. Dann hob sie den Kopf und sagte leise: »Natürlich gibt es einen andern Weg. Es gibt immer einen andern Weg, Frau Doktor.« Sie lächelte, weil sie merkte, dass sie sich auf das Spiel
Weitere Kostenlose Bücher