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Es klopft

Es klopft

Titel: Es klopft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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eingelassen hatte. Dann sagte sie entschiedener und etwas lauter: »Aber ich will ihn nicht gehen. Das ist der Punkt. Er führt in die Gefangenschaft. Ich will nicht die Gefangene eines Kindes werden und mich nach seinem Willen richten müssen und aufstehen, wenn es nachts schreit, und bei ihm bleiben, wenn es mich anschaut und ich gehen will, denn ich bin ja noch in meiner Ausbildung, ich muss immer wieder gehen, oder kann ich es zu Ihnen bringen, Frau Doktor, zum Hüten, wo sind die Tagesmütter, die Leihmütter, denen ich das Kind geben kann, damit ich mein Leben weiterverfolgen kann, meine eigenen Pläne, nicht die des Kindes? Wir schließen uns aus, wir zwei. Ich lebe vom wenigen Geld, das mir meine Mutter hinterlassen hat, die so oft nicht zu Hause war, wenn ich sie brauchte. Das ist nichts für mich.«
    »Aber Frau Anna«, sagte Mirjam aus dem Halbdunkel, »solche Ängste hat jede junge Frau vor dem ersten Kind.«
    »Ich bin nicht jede junge Frau!« rief Anna heftig, »ich bin ich! Ich! Und ich will nicht, dass ein Kind jetzt meine Zukunft organisiert für die nächsten zwanzig Jahre und mir sagt,
mit wem ich zusammenleben soll und was ich überhaupt tun muss, klar?«
    »Es ist klar, Frau Anna, beruhigen Sie sich«, entgegnete Mirjam, »Sie bekommen die Bescheinigung, ich wollte nur sicher sein, dass es Ihnen ernst ist.«
    Dann sagte sie zu Anna: »Gut, die erste Szene ist beendet. Wir kommen zu Szene zwei. Der Vater deines Freundes, ein Arzt, hat dich um eine Unterredung in seiner Praxis gebeten. Bereit?«
    »Bereit.«
    Nun sagte Mirjam mit etwas tieferer Stimme: »Ich wollte Sie nur fragen, Anna, ob alles in Ordnung ist.«
    Anna schaute lange ins Halbdunkel und nickte dann: »Ja, Herr Dr. Ritter, ich bekomme die Bescheinigung, es ist alles in Ordnung. Für Sie.« Dann machte sie eine lange Pause und schrie: »Aber für mich nicht! Für mich ist nichts in Ordnung, hören Sie? Ich will dieses Kind!«
    »Aber warum nur, Anna?«
    »Weil alles dagegen spricht, deshalb! Ich bin noch in der Ausbildung - na und? Ihr Sohn soll ein halbes Jahr nach Mexiko - na und? Ich wollte dieses Kind nicht, aber das Kind wollte mich - oder sich! Ich habe meine Mutter nie so gehasst, wie wenn sie mir sagte, ich sei ihr Wunschkind. Kinder sollen unerwünscht kommen! Ich will eine andere Mutter sein als meine Mutter eine war! Ich kann das.«
    »Das können Sie später immer noch, Anna.«
    »Wer weiß, ob später noch ein Kind zu mir kommen will? Wieso wollen Sie es mir wegnehmen, das Kind, Herr Dr. Ritter? Wissen Sie, was eine Abtreibung ist?« Anna erhob sich von ihrem Stuhl.

    »Ein kleiner medizinischer Eingriff, ambulant und ohne -«
    »Mord. Abtreibung ist Mord«, sagte Anna fast tonlos und zutiefst erschrocken, »und ich will keine Mörderin sein. Und jetzt gehen Sie. Ich muss meinen Mann anrufen.«
    Anna zog ihr Handy hervor und wählte die Nummer von Thomas.
    »Ich bin’s, hallo. Thomas, ich wollte dir nur sagen, du kannst machen, was immer du willst, du kannst nach Mexiko gehen, oder auch nicht, ich weiß nicht, wer du bist, aber ich liebe dich - und ich behalte das Kind.«

19
    C omo está, señor?«
    Mercedes stand im Türrahmen von Manuels Arbeitszimmer im oberen Stock. Sie trug einen farbigen Poncho, hatte eine schwarze Melone auf dem Kopf, die leicht schief saß, und hielt eine Biscuitschachtel in ihrer rechten Hand.
    »Bien, gracias«, antwortete Manuel lächelnd. Viel mehr konnte er auf Spanisch gar nicht.
    »No, doctorcito«, sagte Mercedes, indem sie zu seinem Schreibtisch kam. »Usted no va bien, lo ven mis ojos.«
    Sie zeigte auf ihre Augen als Garanten ihrer Wahrnehmung, dass es Manuel nicht gut ging.
    Und so war es. Seit Annas Auftauchen hatte sich etwas in ihm eingenistet, gegen das er vergeblich mit der ganzen Gewandtheit seiner Ironie antrat. Angst und Kummer saßen, ungebetene Gäste, in den Gemächern seiner Gefühle und ließen sich durch keine Tricks hinauskomplimentieren. Und als der Tinnitus dazukam, zogen sie ihre Familien nach, Beklemmung, Sorge, Panik, und sie hielten zusammen wie Migranten aus einem tristen fernen Land, mit denen Manuel nichts zu schaffen hatte und die nun einen Anteil von seinem Glück einforderten.
    Natürlich war dies Julia nicht entgangen, und er musste ihr von seinem Tinnitus erzählen, auch davon, dass er deswegen einen Kollegen aufgesucht und sogar einem Cortisonstoß zugestimmt hatte, in der vagen Hoffnung, damit zur
20%-Erfolgsquote zu gehören. Gestern war die zehntägige

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