Es klopft
für sie tun zu können.
»Siéntese, doctor, siéntese!« sagte sie, als er zur Begrüßung aufstehen wollte, setzen solle er sich, bedeutete sie ihm, und genau dort bleiben, wo er war, hinter seinem Schreibtisch. Dann stellte sie sich vor ihn, hob die Blechschachtel mit beiden Händen vor ihr Gesicht, senkte den Kopf und schloss die Augen. Lange blieb sie so stehen, wortlos, und Manuel
blickte auf ihren seltsamen schiefen Hut, unter dem der schnurgerade Scheitel zu sehen war, der exakt auf der Mitte ihres Schädels verlief und ihre schwarzglänzenden Haare in zwei gleiche Hälften aufteilte. Der Poncho, den sie umgelegt hatte, prangte in wunderbaren Farben, und an einem Lederbändel, den sie um den Hals trug, baumelte eine weiße Tierpfote. Das war ein anderer Anblick, als wenn sie in einer abgetragenen getüpfelten Schürze auf der kleinen Leiter stand und mit einer Ajaxflasche in der einen und einem Lappen in der andern Hand die Fensterscheiben reinigte, und je länger sie so vor ihm stand, desto weiter entfernte sie sich von der Frau, die bei ihnen zum Putzen angestellt war, und wurde zu einer unvertrauten priesterlichen Figur in einer Art Messgewand. Er schüttelte leicht den Kopf, aber etwas verbot ihm, darüber zu lachen. Auch wagte er nicht, etwas zu sagen.
Auf einmal hob Mercedes den Kopf, drehte sich abrupt um, ging zielbewusst auf das Büchergestell zu und sagte: »Aquí!« Sie stellte die Schachtel in der Nähe der Eckwand des Gestells zu Boden, maß mit den Augen nochmals die Distanz und räumte dann einen Teil der untersten zwei Regale aus, indem sie die Bücher auf das Tischchen in der Mitte des Zimmers schichtete. Es war vor allem ältere Fachliteratur.
Manuel verfolgte dies mit einer gewissen Besorgnis, er verstand nicht, weshalb sie ihr Opferfeuerchen nicht z.B. auf der Tischplatte entzünden wollte, versuchte auch einen Einwand, aber Mercedes hob sofort abwehrend beide Hände und schaute ihn mit einem Blick an, den er noch nie an ihr gesehen hatte.
Dann öffnete sie die Schachtel, entnahm ihr ein weißes Brettchen, auf dem verschiedene kleine Figuren und Gegenstände
angeordnet waren, und deponierte es auf dem Tischchen.
Die Schachtel stellte sie umgekehrt auf den Teppich, legte den Deckel so darauf, dass die Ränder nach oben schauten, und machte aus einigen Feueranzünderröllchen in der Mitte ein kleines Reisigbett, auf das sie vorsichtig ihr Opferbrettchen hob. Danach zupfte sie Salbeiblätter von einem verdorrten Zweig, den sie bei sich hatte, und verstreute sie auf dem Brett. Jetzt zog sie ein Briefchen Streichhölzer hervor, doch bevor sie eines entflammte, sagte sie zu Manuel: »Doctor, jetzt gut Idee, was du wollen, bien?«
Manuel nickte und murmelte kleinlaut: »Bien, bien.«
Und als nun ein kleines Schmorfeuerchen zu brennen begann, über dem Mercedes, die im Schneidersitz danebensaß, ihren Salbeizweig so schwenkte, dass sich ein feiner Rauch gleichmäßig im Zimmer verteilte, ein Rauch, der überraschend gut und würzig duftete, überlegte sich Manuel, was er eigentlich wollte, und natürlich wusste er das schon lange, auch ohne dass eine Indiofrau mit einem Zweiglein in seinem Zimmer herumwedelte. Er wollte Klarheit darüber, wer Anna war. Dann würde vielleicht auch wieder Ruhe in seinem Ohr einkehren.
Durch den Opfernebel des Altiplano schaute er auf den Zürichsee hinaus, an dessen Ufern nach und nach die Lichterketten angingen und über den ein festlich beleuchtetes Ausflugsschiff glitt. Ein bleicher Halbmond hing so fern am Himmel, als sei er mit der Erhellung anderer Welten beschäftigt.
»Gut Idee, doctorcito?« fragte die Stimme aus Bolivien.
Manuel nickte lächelnd. »Gut Idee, Mercedes.«
Dann stützte er seinen Kopf auf die Hände und schloss die Augen.
Als er sie wieder öffnete, stand Mercedes vor ihm. Die Biscuitschachtel war geschlossen und stand auf dem Tischchen, die Bücher waren ins Regal geräumt. Immer noch hing ein feiner Nebel im Zimmer, und immer noch roch er betörend gut.
Mercedes hielt ihm einen gelben Umschlag hin.
»Estaba detrás de los libros«, sagte sie und deutete auf die unteren Reihen des Büchergestells. »Documentos?«
»Gracias«, sagte Manuel, nahm ihn und legte ihn auf den Tisch, »muchas gracias.«
»De nada, doctor, de nada«, sagte Mercedes, »qué Dios te bendiga«, küsste ihn auf die Stirn, ging dann zum Tischchen, nahm die Schachtel an sich und verließ das Arbeitszimmer.
Manuel blieb eine ganze Weile im Halbdunkel
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