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Es muß nicht immer Kaviar sein

Es muß nicht immer Kaviar sein

Titel: Es muß nicht immer Kaviar sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Halbschuhe und Socken, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte besaß der tote Herr. Nahe dem Herzen wies das Hemd ein kreisrundes Loch und einen riesigen Blutfleck auf. Auch das Jackett hatte einiges abbekommen. Offensichtlich war der Herr mit Hilfe einer Kugel – und keiner zu kleinen – aus dieser Welt in eine andere, angeblich bessere, befördert worden.
    Kreischend entflohen die Kleinen, nachdem sie die Leiche entdeckt hatten. Fünf Minuten später kamen Fischer und Fischerinnen herbeigeeilt. Sie umringten den toten Herrn erregt.
    Ein alter Mann sprach zu seinem Sohn: »Sieh nach, José, ob dieser Herr einen Paß bei sich trägt.« José kniete neben dem Toten nieder und sah nach. Dieser Herr trug vier Pässe bei sich.
    Ein anderer alter Mann sagte: »Den Kerl kenne ich!« Im September 1940, vor siebzehn Jahren, erzählte er sodann, hätte er gegen gute Bezahlung bei der Entführung eines eleganten Herrn durch deutsche Agenten mitgewirkt. Der alte Mann war damals Steuermann eines Fischkutters gewesen: »… sie haben den da irgendwo in der Stadt niedergeschlagen und bewußtlos hier runtergebracht, und dann haben wir ihn an Bord verstaut und sind aufs offene Meer rausgefahren. Vor der Dreimeilenzone, haben mir die Deutschen erzählt, würde ein deutsches U-Boot warten und den Herrn übernehmen. Es hat ihn nur nicht übernommen. Etwas ist dazwischengekommen.« Der alte Mann erzählte, was. Der geneigte Leser weiß es schon.
    »Sie haben immer von ihm als einem ›Kaufmann Jonas‹ gesprochen«, erzählte der alte Steuermann.
    Sprach der andere alte Mann: »Sieh nach, José, ob der tote Herr einen Paß auf den Namen Jonas bei sich trägt.«
    José sah nach. Der tote Herr trug. Auf den Namen Emil Jonas, Kaufmann aus Rüdesheim.
    »Wir müssen sofort die Polizei verständigen«, sagte José.
    4
    »Schreiben Sie, Fräulein«, sagte der Kommissar Manuel Vayda vom Morddezernat Lissabon zu seiner Sekretärin und diktierte: »Bei dem am Strand von Cascais aufgefundenen Toten handelt es sich um ein ausgesprochen männliches – hrm, streichen Sie ausgesprochen –, um ein männliches Wesen von 45 bis 50 Jahren. Der beiliegende polizeiärztliche Befund, hm, hm, erkennt auf Tod durch Erschießen mit einer amerikanischen 9-Millimeter-Armeepistole … Absatz.
    In den Kleidern des Toten – haben Sie, Fräulein? – wurden gefunden: 891 Dollar und 45 Cent, zwei Rechnungen aus New Yorker Lokalen, eine Rechnung des New-Yorker Hotels ›Waldorf-Astoria‹, ein deutscher Führerschein, ausgestellt auf die Namen Thomas Lieven, eine altmodische goldene Repetieruhr sowie vier Pässe: zwei deutsche auf die Namen Thomas Lieven und Emil Jonas sowie zwei französische auf die Namen Maurice Hausér und Jean Leblanc … Absatz.
    Fotografien von Jean Leblanc beziehungsweise Emil Jonas, die sich im Archiv der Kriminalpolizei befinden, stimmen miteinander überein. Sie entsprechen genau den Fotografien in den vier Pässen des Toten. Aus all dem kann wohl mit Recht der Schluß gezogen werden, daß es bei dem Ermordeten um den Agenten Thomas Lieven handelt, der in den letzten Jahren soviel von sich reden machte. Er ist ohne Zweifel einer Agentenrache zum Opfer gefallen. Die Aufklärung des Falles wird mit aller Energie vorangetrieben … So ein Quatsch. Als ob schon jemals ein Agentenmord aufgeklärt worden wäre! Der Mörder ist doch längst über alle Berge … Sagen Sie mal, Fräulein, Sie sind wohl wahnsinnig geworden? Was ist Ihnen denn eingefallen, meine letzten Sätze mitzuschreiben?«
    5
    »Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurz und ist voller Unruhe …«, sprach der Priester am offenen Grabe. Da war es 16 Uhr 30 am 24. November 1957. Es hatte ein bißchen lange gedauert, bis der Verblichene zur Beerdigung freigegeben worden war.
    Am 24. November 1957 regnete es in Lissabon, und es war recht kühl. Die kleine Trauergemeinde fror. Es waren lauter Herren anwesend – und nur eine einzige junge Dame. Die Herren sahen aus wie das, was sie waren: Berufskollegen. Exmajor Fritz Loos vom weiland Wehrbezirkskommando Köln senkte das Haupt. Der quittengelbe britische Agent Lovejoy neben ihm nieste. Der tschechische Spion Gregor Marek verharrte in gebeugter Haltung. Nachdenklich waren die Obersten des französischen Geheimdienstes Siméon und Débras. Und traurig waren der deutsche Oberst der militärischen Abwehr Paris Erich Werthe und der kleine Major Brenner. Neben dem geistlichen Herrn stand die amerikanische Agentin

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