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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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im Jahre 1958 noch unvorstellbar war. Hi-yo, Silver, LOOOS!, denkt er und schließt die Augen, die plötzlich vor unterdrückten Tränen brennen.
    Was ist später aus Silver geworden? Er kann sich nicht daran erinnern. Dieser Teil des Bühnenbilds ist noch dunkel; dieser Scheinwerfer muss erst noch eingeschaltet werden. Und das ist vielleicht gut so. Vielleicht ist es ein Segen.
    Hi-yo.
    Hi-yo, Silver.
    Hi-yo, Silver …

2
     
    »LOOOS!«, brüllte er, und die Worte wurden vom Wind über seine Schulter hinweg nach hinten getragen. Sie kamen groß und stark heraus, als triumphierender Schrei. Nur sie vermochten das. Bei diesen Worten musste er nie stottern.
    Er fuhr die Kansas Street hinab, auf die Stadt zu, und wurde nur langsam schneller. Das silberfarbene Fahrrad zu beobachten, wenn es an Tempo zunahm, war ein bisschen so, als beobachte man ein großes Flugzeug auf der Rollbahn. Zuerst schien es einem unglaublich, dass ein so riesiges, schwerfälliges Ding jemals die Erde verlassen könnte – und dann konnte man seinen Schatten zuerst unter ihm und gleich darauf hinter ihm sehen.
    So ähnlich war es auch mit Silver.
    Bill trat immer schneller in die Pedale; seine Beine bewegten sich auf und ab, während er sich stehend über die Fahrradstange beugte. Er hatte ziemlich schnell gelernt – nachdem ihn diese Stange ein paarmal an der schlimmsten Stelle gequetscht hatte, wo ein Junge gequetscht werden konnte -, dass er die Unterhose immer so weit wie möglich hochziehen musste, bevor er auf Silver aufstieg. Später im Sommer – nachdem er einmal Zeuge dieses Vorgangs geworden war – hatte Richie angemerkt: Bill macht das, weil er denkt, dass er eines Tages einmal Kinder machen will. Ich finde, das ist eine ausgesprochen schlechte Idee, aber he! vielleicht geraten sie ja nach seiner Frau, richtig?
    Der Sattel, den Eddie und er so niedrig wie möglich gestellt hatten, stieß gegen den unteren Teil seines Rückens, während er in die Pedale trat. Eine Frau, die in ihrem Blumengarten Unkraut jätete, wandte den Kopf und blickte ihm lächelnd nach. Er erinnerte sie ein wenig an einen Affen, den sie einmal im Zirkus Barnum & Bailey auf einem Einrad hatte fahren sehen. Dieser Junge wird sich noch den Hals brechen, wenn er nicht langsamer fährt, dachte sie, bevor sie ihr Interesse wieder ihren Blumen zuwandte. Dieses Fahrrad ist zu groß für ihn. Aber eigentlich ging sie das gar nichts an.

3
     
    Bill hatte so viel Verstand gehabt, sich nicht mit den großen Jungen anzulegen, als diese aus den Büschen hervorgestürzt waren wie schlecht gelaunte Jäger auf der Spur eines Tieres, das die Frechheit besessen hatte, einen von ihnen zu verletzen. Aber Eddie hatte lautstark protestiert, und Henry Bowers hatte seine Wut an ihm ausgelassen.
    Bill kannte die Burschen. Henry, Belch und Victor waren so ziemlich die schlimmsten Jungen an der Schule. Sie hatten auch schon Richie Tozier verprügelt, einen Jungen, mit dem Bill manchmal spielte, und das nicht nur einmal. In Bills Augen hatte Richie sich das zum Teil selbst zuzuschreiben; er hatte nicht umsonst den Spitznamen »Schandmaul«.
    Im April hatte Richie etwas gesagt, als die drei Burschen auf dem Schulhof an ihm vorbeigegangen waren; er hatte eine Bemerkung über ihre Krägen gemacht, die hochgestellt waren wie bei Vic Morrow in dem Film Die Saat der Gewalt. Bill, der am Schulgebäude gesessen und lustlos ein paar Murmeln geschnippt hatte, hatte nicht alles mitbekommen. Ebenso war es Henry und seinen Freunden ergangen … aber sie hatten genug gehört, um sich zu Richie umzudrehen. Bill glaubte, dass Richie das, was er gesagt hatte, eigentlich leise hatte sagen wollen. Das Dumme war nur, dass Richie anscheinend einfach nicht leise reden konnte.
    »Was hast du gesagt, du vieräugiger Knirps?«, wollte Victor Criss wissen.
    »Ich hab gar nichts gesagt«, erklärte Richie schnell, aber obwohl sein Gesicht ganz erschrocken und ängstlich aussah, fügte sein Mund plötzlich hinzu: »Ihr solltet euch mal das Wachs aus den Ohren holen. Wollt ihr ein bisschen Sprengpulver?«
    Einen Moment lang starrten sie ihn ungläubig an, dann machten sie Jagd auf ihn. Von seinem Sitzplatz am Schulgebäude aus hatte Stotter-Bill das ungleiche Rennen vom Start bis zum vorhersehbaren Ende beobachtet; und er verspürte nicht den Drang, sich da hineinziehen zu lassen, denn diesen drei Idioten war es egal, ob sie einen oder zwei Jungen verprügelten.
    Richie rannte diagonal über den Spielplatz, sprang

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