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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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über die Wippen und erkannte erst, als er am Drahtzaun zwischen dem Spielplatz und dem daran angrenzenden Park angelangt war, dass er in eine Sackgasse geraten war. Er versuchte, den Zaun zu erklimmen, und hatte es zu zwei Dritteln geschafft, als Henry Bowers und Victor Criss ihn herunterzerrten, Henry am Saum seiner Jacke, Victor an seinen Jeans. Richie war schreiend heruntergefallen, und als er mit dem Rücken auf dem Asphalt aufschlug, flog ihm die Brille von der Nase. Henry hatte sie verächtlich beiseitegekickt, und einer der Bügel war dabei abgebrochen, weshalb sie in diesem Sommer mit Klebeband geflickt war.
    Bill war zusammengezuckt und zur Vorderfront des Gebäudes gegangen. Er hatte Mrs. Moran, eine der Lehrerinnen der vierten Klasse, dabei beobachtet, wie sie schon hinübereilte, um dazwischenzugehen, aber er wusste, bis sie hinkam, würden sie Richie schon hart in die Mangel genommen haben. Richie würde weinen, bis sie dort war. Heulsuse, Heulsuse, seht euch die Heulsuse an.
    Bill hatte bisher nur kleinere Probleme mit diesen Burschen gehabt. Natürlich machten sie sich über sein Stottern lustig, aber das war nicht weiter schlimm. Gelegentlich spielten sie ihm auch irgendeinen gemeinen Streich; so hatte ihm Belch Huggins eines Tages während der Pause das Lunchpaket aus der Hand geschlagen und es zertrampelt.
    »Ach d-d-du j-j-j-je!«, hatte Belch gerufen und schlug mit gespieltem Entsetzen die Hände vors Gesicht. »T-T-Tut mm-m-mir l-leid um d-d-dein L-L-L-Lunchpaket, d-du A-A-A-Arschloch«, sagte Belch und schlenderte grinsend zum Trinkbrunnen vor der Jungentoilette, an dem Victor Criss lehnte und schallend lachte. Aber auch dieser Vorfall war nicht so schlimm gewesen. Bill hatte von Eddie Kaspbrak ein halbes Erdnussbutterbrot bekommen, und Richie hatte ihm mit Freuden seine hart gekochten Eier abgetreten, die seine Mutter ihm jeden zweiten Tag einpackte und die ihm schon zum Hals raushingen.
    Man musste diesen üblen Kerlen aus dem Wege gehen, und wenn das nicht ging, musste man sich irgendwie unsichtbar machen.
    Eddie hatte diese Regel vergessen, also wurde er unsanft daran erinnert.
    Er hatte sich noch ganz ordentlich gefühlt, als die Burschen sich wieder verzogen, obwohl seine Nase heftig blutete. Bill gab ihm sein Taschentuch, als Eddies eigenes mit Blut vollgesogen war; er sagte ihm, er solle sich hinsetzen und den Kopf zurücklehnen. Bill erinnerte sich, dass seine Mutter das immer bei Georgie so gemacht hatte, denn Georgie hatte manchmal Nasenbluten gehabt …
    Oh, aber es tat so weh, an Georgie zu denken!
    Erst nachdem die Büsche wieder zur Ruhe gekommen und die Geräusche der büffelartig durch die Barrens trampelnden Burschen verklungen waren, erst als Eddies Nase aufgehört hatte zu bluten, begann der Junge nach Luft zu schnappen; sein Atem ging pfeifend, und seine Hände öffneten und schlossen sich krampfartig.
    »Scheiße!«, keuchte Eddie. »Asthma! Verdammt!«
    Er zog sein Asthma-Spray aus der Tasche – das Ding hatte etwas Ähnlichkeit mit einer Sprühflasche Windex -, schob es sich in den Mund und drückte auf den Pumpmechanismus.
    »Besser?«, fragte Bill ängstlich.
    »Nein. Es ist leer.« Eddie sah Bill mit panischem Blick an, der besagte: Ich bin erledigt, Bill! Ich bin erledigt!
    Das leere Asthma-Spray rollte aus seiner Hand. Der Bach plätscherte fröhlich dahin; ihm war es egal, dass Eddie Kaspbrak kaum Luft bekam. Bill dachte flüchtig, dass die Raufbolde in einem Punkt recht gehabt hatten: Es war ein richtiger Babydamm gewesen. Aber, verdammt, es hatte ihnen Spaß gemacht, ihn zu bauen, und plötzlich überkam ihn ein dumpfer Zorn über die Zerstörungswut der großen Jungen.
    »N-N-Nimm’s leicht, E-E-Eddie«, sagte er.
    Etwa vierzig Minuten saß er dann neben seinem Freund. Er hatte gehofft, dass Eddies Asthma-Anfall allmählich nachlassen würde, aber diese Hoffnung verwandelte sich langsam in Unruhe. Als Ben Hanscom auftauchte, war diese Unruhe mittlerweile echter Angst gewichen. Statt nachzulassen war der Asthma-Anfall schlimmer geworden. Und bis zum Drugstore in der Center Street, wo Eddie seine Asthmamedizin immer holte, waren es fast fünf Kilometer. Wenn er nun losfuhr, um das Zeug zu holen, und bei seiner Rückkehr würde Eddie bewusstlos daliegen? Bewusstlos oder
    (mach keinen Scheiß, denk so was nicht)
    vielleicht sogar tot, beharrte sein Verstand.
    (wie Georgie, tot wie Georgie)
    Sei doch kein Arschloch! Er wird nicht sterben!
    Nein, vielleicht nicht.

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