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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wieder zurück. Es fühlte sich kalt an, obwohl es an einer Stelle des Zimmers lag, die den ganzen Tag vom Sonnenlicht gewärmt wurde. Und trotzdem war das Album kalt.
    Ach was, dachte Richie, ich lasse es einfach liegen. Ich hab sowieso keine Lust, in sein dummes altes Album zu schauen und einen Haufen Leute zu sehen, die ich nicht kenne. Ich werde Bill einfach sagen, dass ich meine Meinung geändert habe, dann können wir in Bills Zimmer gehen und Comics lesen, bis meine Mama mich abholt. Danach esse ich zu Abend und gehe zeitig ins Bett, denn ich bin ziemlich müde, und wenn ich morgen früh aufwache, werde ich überzeugt sein, dass das rotbraune Zeug Ketchup gewesen war, nichts weiter als Ketchup. Jawohl.
    Seine Hände schienen unendlich von ihm entfernt zu sein, am Ende langer Kunststoffarme, als er das Album öffnete, und er betrachtete die Gesichter und Landschaften in Georges Album: Tanten, Onkel, Babys, Häuser, alte Autos, Telefonmasten, Briefkästen, Holzzäune, ein Riesenrad auf dem Jahrmarkt, den Wasserturm, die Ruinen der Kitchener-Eisenhütte …
    Er wendete die Seiten immer schneller um, und plötzlich waren sie leer. Er blätterte zurück; eigentlich wollte er es nicht tun, aber irgendetwas zwang ihn dazu. Ein Foto aus der Innenstadt von Derry – Main Street und Canal Street, aufgenommen etwa 1930, und dahinter war nichts mehr.
    »Hier drinnen ist kein Schulfoto von George«, sagte Richie und sah Bill mit einer Mischung aus Erleichterung und leichter Wut an. »Gib’s zu, du hast uns auf den Arm genommen.«
    »W-W-Was?«
    »Das Bild hier von der Innenstadt, wie sie früher mal aussah, ist das letzte Foto im Album. Die Seiten danach sind leer.«
    Bill stand auf und ging zu Richie hinüber. Er betrachtete das Foto von Derrys Innenstadt, wie sie vor etwa dreißig Jahren ausgesehen hatte – altmodische Autos und Lastwagen, Straßenlaternen mit einer Traube weißer Lampen, Fußgänger, die am Kanal entlanggingen und auf dem Foto für immer mitten in einem Schritt versteinert waren. Dann blätterte er um, und wie Richie sagte, war da nur eine leere Seite.
    Das heißt, nicht komplett leer. Auf der Seite klebte noch eine einzelne Fotoecke.
    »Es w-w-war h-hier«, sagte Bill und tippte auf die Fotoecke. »S-Sieh doch.«
    »Mein Gott, was denkst du, was damit passiert ist?«
    »Ich w-w-weiß es n-nicht.«
    Bill nahm Richie das Album aus der Hand. Er blätterte die Seiten um und suchte nach Georgies Schulfoto. Als er damit aufhörte, blätterten sie sich raschelnd und ganz von allein weiter um. Die beiden Jungen tauschten einen erschrockenen Blick, dann starrten sie wieder auf das Album.
    Es hatte sich wieder auf der letzten Seite geöffnet. Die Innenstadt von Derry, ein sepiafarbenes Foto, das Derry zu einer Zeit lange vor ihrer aller Geburt zeigte.
    »Na so was!«, rief Richie plötzlich und nahm das Album wieder an sich. In seiner Stimme lag keine Angst, nur verblüfftes Staunen. »Heiliger Strohsack, Bill …!«
    »Was?«, fragte Bill. »W-W-Was ist l-los?«
    »Heiliger Strohsack! Das sind ja wir! Mein Gott, sieh doch nur!«
    Über Georgies Fotoalbum gebeugt, sahen sie aus wie zwei Jungen, die sich bei einer Chorprobe ein Buch teilen. Richie hörte, wie Bill zischend Luft holte, und erkannte daran, dass er es ebenfalls gesehen hatte.
    Auf diesem alten Schwarz-Weiß-Foto gingen zwei Jungen die Main Street entlang, auf die Kreuzung Central Street zu, wo der Kanal für etwa zweieinhalb Kilometer unter die Erde verschwand. Die beiden Jungen hoben sich deutlich von der niedrigen Betonmauer am Kanalrand ab. Einer der beiden trug Knickerbocker. Der andere trug etwas, was fast wie ein Matrosenanzug aussah, und hatte eine Tweedkappe auf dem Kopf. Sie waren etwa im Dreiviertelprofil der Kamera zugewandt, so als hätte sie gerade jemand von der anderen Straßenseite her gerufen. Der Junge in den Knickerbockers war ohne Zweifel Richie Tozier. Und der Junge im Matrosenanzug und mit der Tweedkappe war Stotter-Bill.
    Wie hypnotisiert starrten sie auf das fast dreißig Jahre alte Foto, auf dem sie selbst zu sehen waren. Das Innere von Richies Mund war plötzlich staubtrocken und fühlte sich so glatt an wie Glas. Einige Schritte vor den Jungen auf dem Foto hielt ein Mann die Krempe seines Filzhutes fest, und ein Windstoß hatte im Moment der Aufnahme gerade seinen Mantel aufgebläht. Auf der Straße waren Autos, ein Ford Model T, ein Pierce-Arrow und Chevrolets mit Trittbrettern.
    »I-I-Ich g-g-g-glaub n-nicht …«,

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