Es: Roman
manchmal hat. Kennt ihr ihn?«
Ben und Bev schüttelten den Kopf, aber Eddie sagte: »Der Junge, der Epileptiker ist?«
»Genau. Es war so schlimm, dass ich lieber glauben wollte, auch krank zu sein, als die Sache für real zu halten.«
»Was war es denn?«, fragte Bev, aber sie war sich nicht sicher, ob sie es auch wirklich hören wollte. Das hier war etwas ganz anderes, als um ein Lagerfeuer zu sitzen und sich Gespenstergeschichten anzuhören, während man Würstchen in gerösteten Brötchen aß und Marshmallows über den Flammen grillte, bis sie schwarz und runzelig waren. Hier saßen sie in einer stickigen Wäscherei, und sie konnte unter den Waschmaschinen große Staubflocken sehen (Geisterscheiße, wie ihr Vater das nannte), im Sonnenlicht, das durch die schmutzigen Scheiben hereinfiel, umherwirbelnde Stäubchen und alte Zeitschriften mit zerrissenen Titelblättern. Ganz normale Dinge. Nett, normal und langweilig. Aber sie hatte Angst. Schreckliche Angst. Denn keine dieser Geschichten war erfunden, es waren keine erfundenen Monster, um die es hier ging: Bens Mumie, Eddies Aussätziger … jedes konnte heute Abend, wenn es dunkel war, irgendwo lauern. Oder Bill Denbroughs Bruder, der einarmig und unerbittlich mit Silbermünzen statt Augen durch die schwarzen Abwasserrohre der Stadt geisterte.
Trotzdem fragte sie, als Stan nicht gleich antwortete, noch einmal: »Was war es?«
Langsam begann Stan: »Ich war drüben in dem kleinen Park in der Nähe des Wasserturms …«
»O Gott, ich mag’s da gar nicht«, sagte Eddie bekümmert. »Wenn es in Derry einen verhexten Ort gibt, dann den.«
»Was?«, rief Stan scharf. »Was hast du da gesagt?«
»Weißt du denn über diesen Ort nicht Bescheid? «, fragte Eddie. »Meine Mutter hat mir immer verboten, dort hinzugehen, sogar bevor die ganzen Kinder ermordet wurden. Sie … sie passt wirklich gut auf mich auf.« Er grinste ihnen verlegen zu und packte sein Asthma-Spray etwas fester. »Einige Kinder sind da drin ertrunken. Drei oder vier. Sie … Stan? Stan, geht’s dir nicht gut?«
Stans Gesicht hatte sich grau verfärbt. Sein Mund öffnete und schloss sich wie bei einem Fisch auf dem Trockenen. Er verdrehte die Augen, bis die anderen nur noch die unteren Bogen seiner Iris sehen konnten. Eine Hand griff ins Leere und fiel dann kraftlos auf seinen Schoß.
Eddie tat das Einzige, was ihm einfiel. Er beugte sich vor, legte einen Arm um Stans schlaffe Schultern, schob ihm sein Asthma-Spray in den Mund und drückte auf die Flasche.
Stan hustete und würgte. Er richtete sich auf, seine Augen nahmen wieder ihren normalen Ausdruck an, er hielt sich die Hand vor den Mund. Schließlich keuchte er nur noch etwas und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.
»Was war das?«, brachte er mühsam hervor.
»Meine Asthmamedizin«, sagte Eddie entschuldigend.
»Mein Gott, die schmeckt ja wie Hundescheiße.«
Sie lachten alle darüber, aber es war ein nervöses Lachen. Sie schauten Stan besorgt an. Langsam kam wieder etwas Farbe in seine Wangen.
»Sie schmeckt wirklich ziemlich scheußlich«, stimmte Eddie mit einigem Stolz zu.
»Ja, aber ist sie auch koscher?«, fragte Stan, und wieder lachten sie, obwohl keiner von ihnen – einschließlich Stan – genau wusste, was »koscher« bedeutete.
Stan hörte auf zu lachen und schaute Eddie unverwandt an. »Erzähl mir, was du von dem Wasserturm weißt«, sagte er.
Eddie fing an, aber Ben und Beverly trugen auch ihren Teil dazu bei. Der Wasserturm stand an der Kansas Street, etwa zweieinhalb Kilometer von der Stadtmitte entfernt, am Südrand der Barrens. Gegen Ende des letzten Jahrhunderts hatte er mit einem Fassungsvermögen von über sechseinhalb Millionen Litern ganz Derry mit Wasser versorgt. Weil man von der ringförmigen offenen Plattform direkt unter dem Dach des Wasserturms einen herrlichen Blick auf die Stadt und ihre Umgebung hatte, war er bis um 1930 herum ein beliebter Ausflugsort gewesen. Bei schönem Wetter kamen Familien an Samstag- oder Sonntagnachmittagen in den kleinen Memorial Park, machten dort ein Picknick und kletterten dann die hundertsechszig Stufen zur Plattform empor, wo sie den Ausblick genossen.
Die schmale Wendeltreppe befand sich zwischen der Außenmauer des Wasserturms, die aus blendend weißen Schindeln bestand, und dem riesigen rostfreien Stahlzylinder von dreiunddreißig Metern Höhe.
Dicht unterhalb der Aussichtsplattform führte eine dicke Holztür im inneren Stahlkorsett auf eine Plattform
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