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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Einige schwebten schon wie Fallschirme.
    »Was hast du dort gesehen?«, fragte Bev ihn sanft.
    Einen Moment lang schien es so, als würde er überhaupt nicht antworten. Dann holte er tief Luft und sagte etwas, was ihnen zuerst völlig abwegig vorkam. »Er erhielt den Namen Memorial Park nach dem 23sten Maine-Regiment im Bürgerkrieg. Den Derry Blues. Früher gab es auch ein Denkmal, aber es ist in den Vierzigerjahren bei einem Sturm umgestürzt. Sie hatten nicht genug Geld, um die Statue zu restaurieren, deshalb haben sie ein Vogelbad daraus gemacht. Ein großes steinernes Vogelbad.«
    Sie starrten ihn alle erstaunt an. Stan schluckte. Man konnte richtig hören, dass er einen Kloß in der Kehle hatte.
    »Ich beobachte Vögel, müsst ihr wissen«, erzählte er. »Ich habe ein Album, ein Fernglas und all so Zeug.« Er verstummte wieder, dann fragte er Eddie: »Hast du noch Aspirin?«
    Eddie reichte ihm das Fläschchen. Stan nahm zwei Tabletten heraus, zögerte und nahm dann noch eine dritte. Er gab Eddie das Fläschchen zurück und schluckte Grimassen schneidend die Pillen, eine nach der anderen. Dann erzählte er ihnen seine Geschichte.

10
     
    Stans Begegnung hatte vor zwei Monaten an einem regnerischen Aprilabend stattgefunden. Stan Uris hatte seinen Regenmantel angezogen, das Vogelalbum und das Fernglas in einem wasserdichten Beutel zum Zuschnüren verstaut und war in den Memorial Park gegangen. Normalerweise ging er immer mit seinem Vater dorthin, aber Stans Vater musste an jenem Abend Überstunden machen und hatte Stan deshalb sogar extra angerufen.
    Einer seiner Kunden in der Agentur, der ebenfalls Vögel beobachtete, behauptete, im Vogelbad im Memorial Park einen männlichen Kardinalsvogel – Fringillidae Richmondena – gesehen zu haben. Diese Vögel aßen, tranken und badeten gern in der Dämmerung. So weit nördlich von Massachusetts sah man selten einen Kardinal. Ob Stan hingehen und danach Ausschau halten mochte, hatte sein Vater gefragt. Das Wetter war zwar ziemlich mäßig, aber …
    Stan hatte sich gefreut. Seine Mutter nahm ihm das Versprechen ab, seine Kapuze aufzubehalten, aber das hätte Stan ohnedies getan. Er war ein pedantischer Junge. Er machte niemals Schwierigkeiten, wenn er Gummistiefel oder Schneehosen anziehen sollte.
    Er legte die zweieinhalb Kilometer bis zum Park in einem Regen zurück, der so fein war, dass man ihn nicht einmal als Nieselregen bezeichnen konnte, eher als konstanten Nebel. Die Luft war trüb, zugleich aber viel versprechend. Unter Büschen und im Gehölz lagen zwar noch die letzten schmutzigen Schneehaufen (in Stans Augen sahen sie eher wie fortgeworfene, schmutzige Kissenbezüge aus), aber trotzdem lag schon der Geruch neuen Naturerwachens in der Luft. Stan betrachtete die Zweige der Ulmen, Ahorne und Eichen, die sich vom bewölkten Himmel abhoben, und dachte, dass ihre Silhouetten jetzt auf geheimnisvolle Weise dicker aussahen. Das lag natürlich an den schwellenden Knospen, die in ein, zwei Wochen aufbrechen und zartgrüne, fast durchsichtige Blätter enthüllen würden.
    Die Luft riecht heute Abend grün, dachte er und lächelte ein wenig.
    Er ging schnell, denn in höchstens einer Stunde würde es dunkel werden, und er war ein Perfektionist: Wenn das Licht nicht ausreichen würde, um hundertprozentig sicher zu sein, würde er niemals behaupten, den Kardinal gesehen zu haben, selbst wenn er tief im Herzen genau wissen würde, dass es wirklich einer gewesen war.
    Er durchquerte den Memorial Park. Der weiße Wasserturm ragte links von ihm empor, aber Stan hatte kaum einen Blick für ihn übrig. Der Wasserturm interessierte ihn nicht.
    Der Memorial Park war in etwa ein Rechteck, das sich hügelabwärts erstreckte. Das Gras – um diese Jahreszeit ausgeblichen und tot – war im Sommer ein gepflegter Rasen, und es gab viele runde Blumenbeete. Einen Spielplatz suchte man hier vergeblich; dies war ein Park für Erwachsene.
    Am Ende des Parks, kurz bevor er dann abrupt in die Barrens überging, war ein ebenes Gelände, und dort stand das Vogelbad. Es war eine flache Steinwanne auf einer quadratischen gemauerten Säule, die für diesen bescheidenen Zweck viel zu wuchtig war. Stans Vater hatte ihm erzählt, bevor das Geld ausgegangen war, hatten sie vorgehabt, die Statue des Soldaten wieder aufzustellen.
    »Das Vogelbad gefällt mir aber besser, Daddy«, hatte Stan gesagt.
    Mr. Uris hatte ihm übers Haar gestrichen. »Mir auch«, hatte er gesagt. »Mehr Bäder und weniger

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