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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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über der Wasseroberfläche, die von nackten Glühbirnen angestrahlt wurde. Wenn der Frischwassertank voll war, hatte das Wasser eine Tiefe von genau dreißig Metern.
    »Woher kam denn dieses Wasser?«, fragte Stan.
    Bev, Eddie und Ben schauten einander an. Keiner von ihnen wusste es.
    »Und was ist mit den Kindern, die damals ertrunken sind?«
    Auch darüber wussten sie nicht genau Bescheid. Anscheinend war die Tür, die zur Plattform über dem Wasser führte, damals (»in jenen alten Zeiten«, wie Ben es pathetisch ausdrückte) immer unverschlossen. Eines Abends hatten ein paar Kinder – oder auch nur eines – oder drei – festgestellt, dass auch die untere Tür nicht abgeschlossen war. Sie waren als Mutprobe hinaufgestiegen und waren statt auf der Aussichtsplattform auf der Plattform über dem Wasser herausgekommen und dann im Dunkeln über den Rand ins Wasser gestürzt, bevor sie noch wussten, wo sie überhaupt waren.
    »Ich hab das von Vic Crumly gehört, der sagte, sein Vater hätte es ihm erzählt«, berichtete Beverly. »Vielleicht stimmt es also. Vic sagte, sein Vater hätte gesagt, dass sie so gut wie tot waren, nachdem sie reingefallen waren, denn dort gab es nichts, woran sie sich festhalten konnten. Die Plattform war knapp außer Reichweite. Sie konnten also nur herumpaddeln und um Hilfe schreien, aber niemand hörte sie, weil es spätabends war. Und sie wurden immer erschöpfter, bis sie dann …«
    Sie verstummte und spürte, wie Entsetzen sie überfiel. Sie sah jene Jungen vor sich, sie sah sie herumpaddeln wie triefend nasse Hundebabys. Untergehen und heftig um sich schlagend wieder hochkommen. Je größer ihre Panik wurde, desto wilder strampelten sie im Wasser. Ihre Schuhe sogen sich mit Wasser voll. Sie tasteten vergeblich nach irgendeinem Halt auf den glatten Stahlwänden. Beverly konnte fast das Wasser schmecken, das sie geschluckt haben mussten. Sie konnte ihre Schreie hören, die in dem Wasserturm gespenstisch widerhallten. Wie lange hatte es wohl gedauert? Fünfzehn Minuten? Eine halbe Stunde? Wie lange mochte es gedauert haben, bis die letzten Schreie verstummten und die Jungen nur noch mit dem Gesicht nach unten auf dem Wasser trieben, eigenartige Fische, die der Wärter am nächsten Morgen gefunden haben musste?
    »Mein Gott!«, sagte Stan mit trockener Kehle.
    »Ich hab gehört, dass eine Frau dort einmal ihr Baby verlor«, sagte Eddie plötzlich, »und dass danach der Turm für Besucher gesperrt wurde. Zumindest habe ich das so gehört. Früher konnten Leute dort raufgehen, das weiß ich. Und einmal ist also diese Frau mit einem Baby raufgegangen; ich weiß nicht, wie alt es war. Jedenfalls ist sie auf diese Plattform über dem Wasser gegangen, bis zum Geländer; sie hatte das Baby auf dem Arm, und entweder ließ sie es fallen, oder aber es strampelte sich los. Ich hab gehört, dass ein Mann ihm nachgesprungen ist und versucht hat, es zu retten. Er wollte wohl den Helden spielen. Aber das Baby war verschwunden. Vielleicht hatte es ein Jäckchen an. Wenn Kleider nass werden, ziehen sie einen runter.«
    Eddie griff plötzlich in seine Tasche und holte ein kleines braunes Glasfläschchen heraus. Er öffnete es, schüttelte zwei weiße Tabletten heraus und schluckte sie trocken.
    »Was ist das?«, fragte Beverly.
    »Aspirin. Ich hab Kopfweh.« Er schaute sie an, als wollte er sich verteidigen, aber Beverly sagte nichts.
    Ben führte den Bericht zu Ende. Nach dem Zwischenfall mit dem Baby (er selbst hatte allerdings gehört, es sei ein kleines dreijähriges Mädchen gewesen) hatte der Stadtrat beschlossen, beide Türen des Wasserturms immer abgeschlossen zu halten. Und das war bis jetzt so geblieben. Natürlich hatte der Wärter jederzeit Zutritt, und ab und zu kamen die Wartungsleute, und einmal im Jahr wurden Führungen veranstaltet. Interessierte Bürger konnten hinter einer Dame von der Historischen Vereinigung die Wendeltreppe erklimmen, auf der offenen Plattform »Ohs« und »Ahs« über die herrliche Aussicht ausstoßen und Fotos machen. Aber die Tür zur Plattform über dem Wasser blieb immer geschlossen.
    »Ist der Turm immer noch voll Wasser?«, erkundigte sich Stan.
    »Ich nehm’s an«, antwortete Ben. »Ich hab jedenfalls gesehen, wie Feuerwehrautos während der Grasbrandsaison dort vollgetankt wurden. Sie befestigten einen Wasserschlauch an den Rohren am Boden und füllten ihre Tanks.«
    Stanley betrachtete wieder die Trockenschleuder, in der die Putzlappen umherwirbelten.

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