Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Kugeln, das ist mein Motto.«
    Im Sockel war eine Inschrift in den Stein gemeißelt. Stanley las sie, verstand sie aber nicht; das einzig Lateinische, das er verstand, waren die Namen der Vögel in seinem Buch.
     
Apparebat eidolon senex.
    PLINIUS
     
     
    lautete die Inschrift.
    Stan setzte sich auf eine Bank, holte sein Vogelalbum aus dem Beutel und schlug noch einmal das Foto des Kardinalsvogels auf. Er betrachtete es aufmerksam und prägte sich alle besonderen Merkmale des Vogels ein. Einen männlichen Kardinalsvogel konnte man schwerlich mit etwas anderem verwechseln – er war so rot wie ein Feuerwehrauto, wenn auch nicht so groß -, aber Stan war ein Gewohnheitsmensch; diese Sachen beruhigten ihn und gaben ihm das Gefühl, irgendwo hinzugehören. Daher studierte er das Bild gut drei Minuten, ehe er das Buch zuklappte (die Luftfeuchtigkeit wellte die Seiten nach oben), und steckte es wieder in den Beutel. Er nahm das Fernglas aus dem Futteral und hielt es an die Augen. Er musste die Entfernung nicht einstellen, denn als er es das letzte Mal benutzt hatte, hatte er auch auf dieser Bank gesessen und dasselbe Vogelbad betrachtet.
    Er war ein ruhiger, geduldiger Junge. Er wurde nicht nervös. Er stand nicht auf und lief umher, er schwenkte das Fernglas nicht in eine andere Richtung, um festzustellen, was es dort zu sehen gab. Er saß ganz still da, das Fernglas auf das Vogelbad gerichtet, während der feine Regen auf seinen gelben Mantel tropfte.
    Es wurde ihm auch nicht langweilig. Was er sah, war so eine Art Marktplatz für Vögel. Vier braune Sperlinge saßen eine Weile da, tauchten ihre Schnäbelchen ins Wasser und ließen von Zeit zu Zeit Tropfen über ihre Schultern und Rücken perlen. Ein Eichelhäher störte ihre gemütliche Runde – wie ein Polizist, der eine Schar von Müßiggängern auseinandertreibt. In Stans Fernglas sah er riesengroß aus, und seine dünnen, zänkischen Schreie passten irgendwie nicht zu ihm (wenn man eine gewisse Zeit durch das Fernglas gesehen hatte, erschienen einem die Vögel nicht mehr unnatürlich groß, sondern genau richtig). Die Sperlinge flogen fort. Der Eichelhäher stolzierte eine Zeit lang hochmütig umher, dann wurde es ihm langweilig, und er flog davon. Die Sperlinge kehrten zurück, entfernten sich aber wieder, als drei Rotkehlchen sich häuslich niederließen, um zu baden und – vielleicht – wichtige Angelegenheiten zu besprechen. Stans Vater hatte über Stans zögerliche Vermutung, dass Vögel miteinander reden, gelacht, und sicher hatte sein Vater auch recht, wenn er sagte, Vögel seien nicht intelligent genug zum Reden – ihre Gehirnschale war zu klein -, aber dennoch sahen sie so aus, als würden sie miteinander reden. Jetzt kam ein neuer Vogel hinzu. Er war rot. Stan richtete sein Fernglas ein klein wenig mehr nach links. Einen Augenblick lang war er sich fast sicher … aber es war eine Scharlachtangare; ein guter Vogel, aber nicht der Kardinal. Zu der Tangare war ein Goldspecht gestoßen, ein regelmäßiger Besucher des Vogelbads. Stan erkannte ihn an seinem zerfetzten rechten Flügel und überlegte wie immer, was dem Vogel zugestoßen sein mochte: Hatte er vielleicht nähere Bekanntschaft mit einer Katze geschlossen? Andere Vögel kamen und gingen; Stan sah eine Grackel, so hässlich und schwerfällig wie ein Güterwaggon, einen Hüttensänger und noch einen Goldspecht. Zuletzt wurde er mit einer neuen Vogelart belohnt: nicht mit dem Kardinalsvogel, aber mit einem – ja, er war sich fast sicher -, mit einem Kuhstärling, der durch das Fernglas riesig und ein wenig dümmlich aussah. Er ließ das Fernglas auf seine Brust sinken und holte sein Album wieder aus dem Beutel, wobei er betete, dass der Kuhstärling nicht fortfliegen würde, während er sich vergewisserte, wie dieser aussah. Wenn es einer war, würde er seinem Vater wenigstens etwas Neues berichten können. Und es wurde allmählich Zeit heimzugehen. Es dunkelte rasch, und ihm war kalt. Er schaute in seinem Buch nach, dann setzte er wieder sein Fernglas an die Augen. Der neue Vogel war noch da; er badete zwar nicht, aber er saß auf dem Rand des Bades und sah weiterhin dümmlich aus der Wäsche. Es war ziemlich sicher ein Kuhstärling. Bei dem schwachen Licht und ohne auffallende, typische Merkmale – zumindest konnte Stan auf diese Distanz keine erkennen – war es schwer, es hundertprozentig zu sagen, aber wenn er noch einmal verglich … Er warf wieder einen Blick in sein Album, studierte das

Weitere Kostenlose Bücher