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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zurückkehrte. Er erzählte mir folgende Geschichte:
    »Eines Tages im Frühjahr 1930 – etwa sechs Monate vor dem Feuer im Black Spot – kehrte ich mit drei Kumpels von einem dreitägigen Kurzurlaub in Boston zurück.
    Na ja, wie dem auch sei, jedenfalls stand da dieser große weiße Bursche, gleich hinter der Wache, stützte sich auf eine Schaufel und starrte Löcher in die Luft. Ein Sergeant irgendwo aus dem Süden. Picklig. Karottenrote Haare. Schlechte Zähne. So’ne Art Affe ohne Körperhaare, wenn du verstehst, was ich meine. Zur Zeit der Weltwirtschaftskrise gab es jede Menge solcher Typen in der Armee.
    Wir kamen also daher, vier schwarze Jungs, vom Urlaub zurück, alle in bester Laune, und wir sahen ihm sofort an den Augen an, dass er nur so darauf lauerte, uns was anhängen zu können. Deshalb salutierten wir vor ihm, als wäre er General Black Jack Pershing höchstpersönlich. Vermutlich wäre alles gut gegangen, aber es war ein schöner Tag Ende April, die Sonne schien, und ich Dummkopf riskierte’ne Lippe. ›Einen schönen Nachmittag wünsche ich Ihnen, Sergeant Wilson‹, sagte ich, und er fiel natürlich sofort über mich her.
    ›Habe ich dir erlaubt, mich anzusprechen?‹, fragte er.
    ›Nein, Sir‹, sagte ich.
    Er schaute die anderen der Reihe nach an – Trevor Dawson, Carl Roone und Henry Whitsun, der dann im Herbst bei dem Feuer ums Leben kam – und sagte: ›Diesen Klugscheißer von Nigger werde ich mir jetzt mal vornehmen. Und wenn ihr anderen Bimbos keine Lust habt, mit ihm einen angenehmen, lehrreichen Nachmittag zu verbringen, so rate ich euch dringend, schleunigst in eure Kaserne zu gehen, dort eure Klamotten abzuladen und euch beim wachhabenden Offizier zu melden. Kapiert?‹
    Sie setzten sich also in Bewegung, und Wilson brüllte ihnen nach: ›Tempo, ihr verfluchten Nigger! Schwingt mal eure Ärsche!‹
    Sie machten, dass sie wegkamen, und Wilson ging mit mir zu einem der Lagerschuppen und holte für mich einen Spaten. Dann führte er mich auf das große Feld hinaus, dorthin, wo heute der Northeast Airlines Airbus Terminal ist. Er schaute mich an, grinste, deutete auf den Boden und fragte: ›Siehst du diese Grube da, Nigger?‹
    Es war keine Grube da, aber ich hielt es für besser, ihm zuzustimmen, ganz egal, was er sagte, also schaute ich auf die Stelle, auf die er deutete, und erklärte, natürlich sähe ich sie. Daraufhin knallte er mir seine Faust auf die Nase, und ich landete auf dem Boden, und das Blut floss über mein letztes frisches Hemd.
    ›Du kannst sie nicht sehen, weil irgend so ein großmäuliger Niggerbastard sie zugeschüttet hat!‹, brüllte er. Auf seinen Wangen glühten zwei große rote Flecken, aber zugleich grinste er, und es war nicht zu übersehen, dass er sich bestens amüsierte. ›Was du jetzt also tun wirst, Mr. Einen-schönen-Nachmittag-wünsche-ich-Ihnen, ist, den Dreck aus meiner Grube rauszuschaufeln. Und zwar ein bisschen dalli!‹
    Ich schaufelte also fast zwei Stunden, und bald stand ich bis zum Kinn in dieser Grube. Die letzten paar Zentimeter waren nasser, schwerer Lehm, und als ich fertig war, stand ich bis zu den Knöcheln im Wasser, und meine Schuhe waren völlig durchweicht.
    ›Komm raus, Hanlon!‹, befahl Sergeant Wilson. Er saß gemütlich im Gras und rauchte eine Zigarette. Natürlich half er mir nicht dabei, aus der Grube herauszuklettern. Ich war von Kopf bis Fuß total verdreckt, von dem trocknenden Blut auf meinem Hemd ganz zu schweigen. Er stand auf und schlenderte auf mich zu. Er deutete auf die Grube.
    ›Was siehst du da, Nigger?‹, fragte er mich.
    ›Ihre Grube, Sergeant Wilson‹, sagte ich.
    ›Ja, aber ich habe beschlossen, dass ich sie nicht haben will‹, erklärte er. ›Ich will keine Grube, die von einem Nigger gegraben wurde. Zuschaufeln, Private Hanlon.‹
    Also schaufelte ich sie wieder zu, und als ich damit fertig war, ging die Sonne schon fast unter, und es wurde langsam kühl. Er kam rüber und schaute sich die Sache an, nachdem ich mit der Rückseite des Spatens alles glatt geklopft hatte.
    ›Na, und was siehst du jetzt, Nigger?‹, fragte er mich.
    ›Einen Haufen Dreck, Sir‹, sagte ich, und er schlug wieder zu. Mein Gott, Mikey, ich war nahe daran, ihm die Schaufel auf den Schädel zu knallen. Aber wenn ich das getan hätte, hätte ich nie wieder die Sonne gesehen, außer durch Gitterstäbe hindurch. Und trotzdem glaube ich manchmal fast, dass es die Sache wert gewesen wäre. Aber irgendwie schaffte

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