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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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beobachtete das Trio mit jenem altvertrauten Ausdruck, der eine Mischung von Ängstlichkeit, Amüsement und Konzentration war.
    Bill wollte sich mit der Hand an den Kopf greifen und erkannte mit melancholischer Belustigung, dass er nahe daran gewesen war zu glauben, er könnte durch ein Wunder sein Haar wieder haben – jenes dünne rote Haar, das schon in seinem zweiten Collegejahr begonnen hatte, sich zu lichten.
    Das brach den Zauber. Richie trug keine Brille mehr, stellte er fest und dachte: Vermutlich hat er jetzt Kontaktlinsen – er hat seine Brille von jeher gehasst. Anstelle der früheren T-Shirts und Cordhosen trug er jetzt einen Anzug, der bestimmt nicht von der Stange war – Bill schätzte diesen Maßanzug auf gut und gern neunhundert Dollar.
    Beverly Marsh (wenn ihr Name noch Marsh war ) war eine hinreißend schöne Frau geworden. Statt des einstigen Pferdeschwanzes ergoss sich ihr Haar – sie hatte fast die gleiche Haarfarbe wie er – wie ein Wasserfall gedämpfter Braun- und Rottöne über die Schultern ihrer schlichten weißen Matrosenbluse. Bei dieser schummerigen Beleuchtung glänzte es wie gut poliertes Bernstein; bei Tageslicht – sogar an einem bewölkten Tag wie diesem – musste es jedoch einer lodernden Flamme gleichen. Und er ertappte sich bei dem Gedanken, wie es wohl wäre, die Hände in diesem Haar zu vergraben. Die älteste Geschichte der Welt, dachte er ironisch. Ich liebe meine Frau, aber Mannomann.
    Eddie – seltsam, aber wahr – hatte als Erwachsener eine frappierende Ähnlichkeit mit Anthony Perkins. Sein Gesicht war zerfurchter, als es seinem Alter entsprach (obwohl seine Bewegungen jugendlicher waren als Richies und Bens), und die randlose Brille ließ ihn noch älter erscheinen – es war eine Brille, die gut zu einem angesehenen britischen Rechtsanwalt gepasst hätte, der gerade in den Akten blättert oder zur Richterbank schreitet. Eddies Haar war kurz und altmodisch frisiert; Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre war dieser Schnitt unter dem Namen »Ivy League«, College-Boy-Schnitt, sehr verbreitet gewesen. Er trug ein grell kariertes Sportjackett, das aussah, als stammte es aus dem Ausverkauf eines Herrenbekleidungsgeschäfts, das kurz vor der Schließung stand … aber die Digitaluhr an seinem Handgelenk war eine Patek Philippe, und der Ring am kleinen Finger seiner rechten Hand war ein Rubin. Der Stein war so vulgär groß und auffallend, dass er nur echt sein konnte.
    Ben war derjenige, der sich am meisten verändert hatte, und als Bill ihn jetzt genauer betrachtete, gewann die Realität endgültig die Oberhand. Bens Gesicht war noch das alte; seine Haare waren jetzt zwar länger, doch er hatte immer noch denselben ungewöhnlichen Rechtsscheitel. Aber er war schlank geworden. Er saß ganz leger da, in einer schlichten dunkelbraunen Lederweste über dem blauen Baumwollhemd, Levi’s Jeans, Cowboystiefeln und einem Ledergürtel mit gehämmerter Silberschnalle. Diese Kleidung passte ausgezeichnet zu seiner schlanken, schmalhüftigen Figur. An einem Handgelenk hatte er ein Armband aus schweren Gliedern – nicht aus Gold, sondern aus Kupfer. Er ist schlank geworden, dachte Bill. Er ist sozusagen nur noch ein Schatten seiner selbst … der gute alte Ben ist schlank geworden. Wunder gibt es immer wieder …
    Zwischen den sechs Menschen herrschte einen Moment lang Schweigen. Es war ein unbeschreiblicher Moment, ein Moment, der zu den seltsamsten gehörte, die Bill bisher erlebt hatte. Stan Uris war nicht hier, aber ein siebenter Gast war dennoch anwesend. Hier in diesem Nebenzimmer eines Restaurants war seine Gegenwart so greifbar, als stünde er personifiziert vor ihnen – doch nicht als alter Mann in weißem Gewand mit einer Sense über der Schulter. Es war der weiße Fleck auf der Landkarte, der zwischen 1958 und 1985 lag, ein Gebiet, das ein Forscher vielleicht das Große Unbekannte genannt haben würde. Bill fragte sich, was genau dort sein mochte. Beverly Marsh in einem kurzen Rock, der ihre langen prachtvollen Beine zur Schau stellte, eine Beverly Marsh in weißen Go-Go-Stiefeln, mit in der Mitte gescheitelten, glatt gekämmten Haaren? Richie Tozier mit einem Plakat, das auf der einen Seite die Aufschrift BEENDET DEN KRIEG und auf der anderen die Forderung KEINE REKRUTIERUNG AUF DEM CAMPUS trug? Ben Hanscom mit einem gelben Helm mit Flaggenaufkleber auf dem Kopf, einen Bulldozer fahrend, ohne Hemd, der über seiner Hose hängende Bauch immer kleiner werdend? War

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