Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
aussehe.«
    Errötend widersprach Bill. »Das ist es nicht, Mike. Es ist einfach so, dass ich dich immer noch als Jungen vor Augen hatte. Weiter nichts.«
    »Wirklich nicht?«
    »Du siehst etwas müde aus.«
    »Ich bin etwas müde«, sagte Mike, »aber ich werd’s überleben, nehm ich an.« Er lächelte; es war ein warmes Lächeln, das sein ganzes Gesicht verwandelte, und nun erkannte Bill den Jungen wieder, den er vor siebenundzwanzig Jahren gekannt hatte. So wie das alte Fachwerkgebäude des Krankenhauses zwischen den modernen Glas- und Betonbauten fast verschwand, so war auch der Junge, den Bill einst gekannt hatte, unter der unausweichlichen Staffage des Erwachsenseins fast verschwunden. Er hatte Stirnfalten, tiefe Linien führten von den Mundwinkeln bis fast zum Kinn, und über den Ohren wurde sein Haar schon grau. Aber ebenso wie das alte Krankenhaus immer noch da, immer noch zu sehen war, so war es auch der Junge, den Bill gekannt hatte.
    Mike streckte die Hand aus und sagte: »Willkommen in Derry, Big Bill.«
    Bill achtete nicht weiter auf die ausgestreckte Hand und umarmte Mike. Auch Mike umarmte ihn nun kräftig, und Bill spürte sein festes, krauses Haar an seiner Schulter und an seinem Hals.
    »Was auch immer los sein mag, Mike, wir werden uns darum kümmern«, sagte Bill. Er hörte, dass seine Stimme rau vor Tränen war, aber das machte ihm nichts aus. »Wir haben Es schon einmal besiegt, und wir k-k-können es w-wieder b-b-besiegen.«
    Mike löste sich aus der Umarmung, und obwohl er immer noch lächelte, hatten seine Augen jetzt einen verdächtigen Glanz. Er zog ein Taschentuch heraus und wischte sie ab. »Klar, Bill«, sagte er. »Jede Wette.«
    »Würden die Herren mir bitte folgen?«, fragte die Empfangsdame. Sie war eine lächelnde Orientalin in apartem pinkfarbenem Kimono mit gesticktem Drachen, dessen Schwanz paillettenbesetzt war. Ihr dunkles Haar war kunstvoll hochgesteckt und wurde von Elfenbeinkämmen gehalten.
    »Ich kenne den Weg, Rose«, sagte Mike.
    »Ausgezeichnet, Mr. Hanlon.« Sie lächelte die beiden Männer an. »Sie sind wohl sehr gute Freunde?«
    »Ich glaube schon«, sagte Mike. »Hier entlang, Bill.«
    Er führte ihn einen matt beleuchteten Korridor entlang, vorbei am großen Speisesaal, auf eine Tür zu, die durch einen Perlenschnurvorhang halb verdeckt war.
    »Sind die anderen …?«, begann Bill.
    »Sie sind alle da«, erwiderte Mike. »Alle, die kommen konnten.«
    Bill blieb einen Augenblick lang zögernd vor der Tür stehen. Plötzlich hatte er Angst. Nicht vor dem Unbekannten, dem Übernatürlichen. Es war einfach das Bewusstsein, dass er seit 1958 um fast vierzig Zentimeter gewachsen war und den größten Teil seiner Haare verloren hatte. Es war ein plötzliches Unbehagen – fast schon Schrecken – bei dem Gedanken, sie alle wiederzusehen, die Kindergesichter durch den Zahn der Zeit fast verschwunden, fast begraben, so wie das alte Krankenhaus begraben war. Banken waren in ihren Köpfen errichtet worden, wo einstmals magische Filmpaläste gestanden hatten.
    Wir sind erwachsen geworden, dachte er. Wir hätten damals nicht gedacht, dass es passieren würde, nicht uns. Aber es ist passiert, und wenn ich da reingehe, werde ich feststellen, dass es stimmt: Wir sind jetzt alle Erwachsene.
    Er sah Mike verunsichert und ängstlich an. »Wie sehen sie aus?«, hörte er sich zögerlich fragen. »Mike … wie sehen sie aus?«
    »Geh rein, dann weißt du’s«, sagte Mike sanft und führte Bill in den kleinen Nebenraum.

2
     
    Bill Denbroughs erste Eindrücke
     
    Vielleicht bewirkte die matte Beleuchtung jene Illusion, die nur ganz kurz anhielt, aber Bill fragte sich später, ob es nicht eine ausschließlich für ihn bestimmte Botschaft gewesen war: dass das Schicksal auch gütig sein konnte.
    In jenem kurzen Moment kam es ihm so vor, als wäre keiner erwachsen geworden, als hätten seine Freunde irgendwie eine Peter-Pan-Nummer abgezogen und wären Kinder geblieben.
    Richie Tozier räkelte sich ungezwungen auf seinem Stuhl und sagte gerade etwas zu Beverly Marsh, die sich eine Hand vor den Mund hielt, um ein Kichern zu verbergen; Richie grinste wie früher unverschämt übers ganze Gesicht. Links von Beverly saß Eddie Kaspbrak, und vor ihm auf dem Tisch, neben seinem Wasserglas, lag eine Druckflasche mit einem pistolengriffartigen Aufsatz. Das Design war etwas moderner geworden, ihr Zweck aber unverändert: Es war Asthma-Spray. An einem Ende des Tisches saß Ben Hanscom und

Weitere Kostenlose Bücher