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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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es noch nicht.«
    Die anderen beschlossen, auf den Bus zu warten.
    »Heute Abend um sieben«, erinnerte Mike. »Und seid vorsichtig.«
    Sie stimmten alle überein, vorsichtig zu sein, obwohl Bill nicht wusste, wie sie das Versprechen geben konnten, wo sie es mit so vielen unbekannten Faktoren zu tun hatten.
    Er wollte es sagen, aber dann sah er in ihre Gesichter und stellte fest, dass sie es bereits wussten.
    Er schlenderte davon und winkte noch einmal kurz zurück. Er war froh über die frische Luft, froh darüber, den feinen nebelartigen Regen auf seinem Gesicht zu spüren. Es war nicht gerade ein Katzensprung zurück in die Stadt, aber das machte ihm nichts aus. Er hatte über vieles nachzudenken. Erleichtert stellte er für sich fest, dass das Treffen jetzt vorüber war und dass jetzt Taten folgen konnten.

Kapitel elf
     
    Sechs Spaziergänge
     

1
     
    Ben Hanscom leiht ein Buch aus
     
    Richie Tozier stieg an der Kreuzung Kansas, Center und Main Street aus dem Taxi und Ben oben auf dem Up-Mile Hill. Der Fahrer war Bills »religiöser Freund«, was aber weder Ben noch Richie wussten, denn Dave war in ein mürrisches Schweigen verfallen. Eigentlich hätte Ben genauso gut mit Richie aussteigen können, aber es war vielleicht besser, von Anfang an allein loszugehen.
    Er stand an der Ecke Kansas Street und Daltrey Close, seine Hände in den Hosentaschen, sah dem Taxi nach, das sich wieder in den Verkehr einordnete, und versuchte, den grässlichen Abschluss des Mittagessens aus seinen Gedanken zu verbannen. Aber es gelang ihm nicht; immer wieder hatte er jene grauschwarze Fliege vor Augen, die aus dem Glückskeks auf Bills Teller gekrochen war, und deren Flügel am Rücken geklebt hatten. Er bemühte sich immer wieder, an etwas anderes zu denken, und jedes Mal, wenn er gerade glaubte, es wäre ihm gelungen, stellte er fest, dass seine Gedanken schon wieder um diese entsetzliche Szene kreisten.
    Ich versuche, irgendeine logische Erklärung dafür zu finden, dachte er. Wenn man Bauwerke errichtete, musste man bestimmte Naturgesetze beachten; Naturgesetze lassen sich in Gleichungen fassen; Gleichungen sind logisch aufgebaut. Wo lag die logische Erklärung für das, was vor einer knappen halben Stunde geschehen war?
    Denk nicht mehr daran, sagte er sich zum x-ten Mal. Du kannst es nicht erklären, also lass es sein.
    Aber dazu war er nicht imstande. Er erinnerte sich daran, dass sein Leben am Tag nach seiner Begegnung mit der Mumie auf dem vereisten Kanal ganz normal weitergegangen war. Er hatte gewusst, dass jene Kreatur ihn um ein Haar erwischt hätte, aber sein Leben ging ganz normal weiter: Er war zur Schule gegangen, hatte eine Klassenarbeit in Mathe geschrieben, war nach der Schule in die Bücherei gegangen und hatte mit seinem üblichen herzhaften Appetit gegessen. Er hatte die Erscheinung auf dem Kanal einfach in sein Leben integriert, auch wenn sie ihn um ein Haar getötet hatte … nun, Kinder waren dem Tod immer sehr nahe. Sie überquerten Straßen, ohne nach links und rechts zu schauen, sie paddelten auf dem See herum und stellten plötzlich fest, dass sie auf ihren Gummiflößen viel zu weit hinausgetrieben waren, sie fielen von Kletterstangen auf ihre Ärsche und von Bäumen auf ihre Köpfe.
    Während Ben jetzt im Nieselregen vor einem Eisenwarengeschäft stand – 1958 war hier ein Pfandleihhaus gewesen, erinnerte er sich, dessen Schaufenster immer voller Pistolen, Gewehre und Rasiermesser gewesen war; darüber hatten Gitarren gehangen, die wie exotische Tiere an Schnüren baumelten -, wurde ihm klar: Kinder konnten Nahtoderfahrungen und das Unerklärliche besser in ihr Leben integrieren. Sie glaubten ohnehin an die unsichtbare Welt. Über wundersame Ereignisse – ob positiver oder negativer Art – wurde zwar durchaus nachgedacht, aber die Welt stand dadurch keineswegs still. Ein plötzliches überwältigendes Ereignis schöner oder schrecklicher Art verschlug einem Zehnjährigen nicht im Geringsten den Appetit.
    Aber das änderte sich, wenn man älter wurde. Als Erwachsener lag man nicht mehr wach im Bett und war überzeugt davon, dass im Schrank etwas lauerte oder unermüdlich am Fenster kratzte … aber wenn dann tatsächlich etwas passierte, etwas außerhalb einer vernünftigen Erklärung, war man völlig überfordert, geriet ins Schleudern, die Vorstellungskraft versagte. Man konnte das unerklärliche Ereignis nicht so ohne Weiteres mit der Lebenserfahrung in Einklang bringen. Es war unverdaulich.

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