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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sahen einander beim Einziehen und beim Ausziehen, ein paar Tage lang. Er zog in die Roward Lane. Kennen Sie sie?«
    »Ja«, sagte Beverly. Die Roward Lane zweigte vier Blocks weiter unten von der Lower Main Street ab, und die Mietshäuser waren dort kleiner und noch schäbiger.
    »Im Markt in der Costello Avenue habe ich ihn getroffen manchmal«, berichtete Mrs. Kersh, »und in der Münzwäscherei, die es jetzt nicht mehr gibt. Wir haben hin und wieder ein paar Worte gewechselt. Wir … Mädchen, Sie sehen ja ganz blass aus. Es tut mir leid. Kommen Sie herein und trinken Sie eine Tasse Tee.«
    »Nein, das geht doch nicht«, sagte Beverly, aber in Wirklichkeit fühlte sie sich schwach und blass, so blass wie Milchglas, durch das man fast hindurchschauen konnte. Ein Tee und ein Stuhl schienen ihr jetzt tatsächlich eine gute Idee zu sein.
    »Aber natürlich geht es«, sagte Mrs. Kersh herzlich. »Das ist doch das Mindeste, was ich für Sie tun kann, wenn ich Ihnen schon eine so unerfreuliche Mitteilung machen musste.«
    Und bevor Beverly noch weiter protestieren konnte, wurde sie schon durch den dunklen Flur in ihre ehemalige Wohnung geführt, die ihr jetzt viel kleiner, aber dennoch sicher vorkam – vermutlich, weil fast alles anders war. Statt des rosafarbenen Plastikküchentisches mit den drei Stühlen stand jetzt ein kleines rundes Tischchen da, mit Seidenblumen in einer Töpfervase. Und anstelle des alten Ungetüms von Kühlschrank, an dem ihr Vater immer herumgebastelt hatte, damit er dann wieder eine Weile funktionierte, gab es eine kupferfarbene moderne Kühlkombination. Der Herd war klein, sah aber sehr leistungsfähig aus; darüber war ein Dunstabzug angebracht. Hellblaue Vorhänge hingen an den Fenstern, und sie konnte außen Blumenkästen sehen. Der hässliche Linoleumbelag ihrer Kindheit war verschwunden, und der Holzboden war auf Hochglanz poliert.
    Mrs. Kersh warf ihr vom Herd her, wo sie Teewasser aufsetzte, einen Blick zu. »Sind Sie hier aufgewachsen?«
    »Ja«, sagte Beverly. »Aber es ist jetzt alles ganz verändert hier … so hübsch und gemütlich … wundervoll!«
    »Wie nett von Ihnen, das zu sagen!«, rief Mrs. Kersh und lächelte strahlend, was sie viel jünger erscheinen ließ. »Wissen Sie, ich habe ein bisschen Geld. Nicht viel, aber zusammen mit dem Geld von meiner Sozialversicherung kann ich ganz gut leben. Ich bin in Schweden geboren und aufgewachsen. 1920 bin ich in dieses Land gekommen, mit vierzehn, ohne Geld – und auf diese Weise lernt man den Wert des Geldes am besten schätzen, finden Sie nicht auch?«
    »O ja.«
    »Ich habe im Krankenhaus gearbeitet«, erzählte Mrs. Kersh. »Jahrzehntelang, seit 1925. Schließlich arbeitete ich mich zur Wirtschafterin hoch. Hatte alle Schlüssel. Mein Mann hat unser Geld ganz gut angelegt. Und jetzt habe ich hier meinen kleinen Hafen gefunden. Schauen Sie sich doch um, Fräulein, bis das Wasser kocht!«
    »O nein, das geht doch …«
    »Bitte … ich würde mich freuen.«
    Also schaute Beverly sich um. Das Schlafzimmer ihrer Eltern war nun Mrs. Kershs Schlafzimmer, aber der Unterschied war gewaltig. Das Zimmer sah jetzt größer und heller aus. Eine Kommode aus Zedernholz mit den eingelegten Initialen R. G. verströmte einen leisen angenehmen Duft. Eine riesige Quiltdecke war über das Bett gebreitet. Die Motive darauf zeigten Frauen, die Wasser pumpten, viehtreibende Jungen und Männer, die Heuschober bauten. Eine herrliche Decke.
    Beverlys Zimmer war jetzt als Nähzimmer eingerichtet. Eine schwarze Singer-Nähmaschine mit schmiedeeisernem Gestell stand unter zwei sehr hellen Lampen. An einer Wand hing ein Bild von Jesus, an der anderen eines von John F. Kennedy. Unter diesem stand ein sehr schönes geschnitztes Schränkchen mit Glasvitrine; ursprünglich wohl zum Aufbewahren von Porzellan gedacht, diente es als Bücherschrank.
    Zuletzt ging Beverly ins Bad.
    Es war jetzt in einem warmen Rosaton gekachelt und gestrichen. Die ganze Einrichtung war neu, doch trotzdem näherte sich Beverly dem Waschbecken mit dem Gefühl, dass der alte Albtraum gleich wieder beginnen würde. Sie würde in jenes schwarze lidlose Auge hinabspähen, das Flüstern würde einsetzen, dann würde das Blut …
    Sie sah im Spiegel flüchtig ihr bleiches Gesicht, ihre dunklen Augen, als sie sich über das Becken beugte – und dann starrte sie in jenes Auge und wartete auf die Stimmen, das Lachen, das Stöhnen und das Blut.
    Wie lange sie dort so stand, über das

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