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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Innenstadt! Zum Hotel! Packte! Bestellte ein Taxi! Flog nach Hause! Sagte Tom, er solle sich zum Teufel scheren! Lebte erfolgreich! Starb zufrieden!
    Sie drückte auf die Klingel.
    Sie hörte das vertraute Läuten aus dem Wohnzimmer, das sie immer an einen chinesischen Namen erinnert hatte: Kling-klong. Stille. Keine Reaktion. Sie trat auf der Veranda von einem Fuß auf den anderen, weil sie plötzlich aufs Klo musste.
    Niemand zu Hause, dachte sie erleichtert. Jetzt kann ich gehen.
    Stattdessen klingelte sie wieder: Kling-klong. Keine Reaktion. Sie dachte an Bens süßes kleines Gedicht und versuchte sich zu erinnern, wann und wie er zugegeben hatte, es geschrieben zu haben, und warum das bei ihr eine Assoziation zu ihrer ersten Menstruation hervorrief. Hatte sie mit elf Jahren ihre erste Periode gehabt? Bestimmt nicht, obwohl ihre Brüste sich im vorangegangenen Winter zu entwickeln begonnen hatten. Warum …? Und dann schob sich wieder das Bild Tausender schwatzender Grackeln auf Telefonleitungen und Dächern vor weißem Frühlingshimmel dazwischen.
    Ich gehe jetzt. Ich habe zweimal geklingelt, das reicht.
    Aber sie klingelte wieder.
    Kling-klong.
    Jetzt hörte sie Schritte, und sie hörten sich genauso an, wie sie es sich vorgestellt hatte: das langsame Schlurfen alter Pantoffeln. Einen Moment lang war sie sehr nahe daran wegzurennen. Konnte sie es den Betonweg hinab bis um die Ecke schaffen? Dann würde ihr Vater glauben, dass es nur Kinder gewesen waren, die Klingelmännchen spielten. He, Mister, haben Sie Prince Albert in der Dose …?
    Sie stieß heftig den Atem aus und musste sich sehr beherrschen, um nicht in erleichtertes Lachen auszubrechen. Das war nicht ihr Vater. Auf der Schwelle stand eine große alte Frau, die Ende siebzig sein mochte. Sie hatte langes, glänzendes Haar, das größtenteils weiß, aber noch mit goldfarbenen Strähnen durchzogen war. Hinter der randlosen Brille strahlten Augen, die so blau waren wie das Wasser in Hochgebirgsseen oder in den Fjorden, aus denen ihre Vorfahren vielleicht stammten. Sie trug ein purpurrotes Kleid aus Waschseide, das etwas abgetragen, aber doch noch gediegen aussah. Ihr runzeliges Gesicht war freundlich.
    »Ja?«, fragte sie.
    »Es tut mir leid«, sagte Beverly. Das Bedürfnis zu lachen war so schnell vergangen, wie es sie überfallen hatte. Sie registrierte fasziniert, dass die alte Frau eine Kamee aus echtem Elfenbein, eingefasst mit einem hauchdünnen Goldband, am Hals trug. »Ich muss aus Versehen auf die falsche Klingel gedrückt haben.« Oder absichtlich auf die falsche Klingel gedrückt haben, flüsterte eine innere Stimme. »Ich wollte bei Marsh klingeln.«
    »Marsh?« Die Frau runzelte leicht die Stirn.
    »Ja, wissen Sie …«
    » Hier wohnt kein Marsh«, sagte die alte Frau.
    »Aber …«
    »Es sei denn... Sie meinen doch nicht Alvin Marsh, oder?«
    »Doch!«, sagte Beverly. »Das ist mein Vater!«
    Die alte Frau tastete unwillkürlich nach ihrer Kamee. Sie sah Beverly aufmerksam an, und Bev kam sich plötzlich lächerlich jung vor, so als sollte sie eigentlich noch eine Schachtel mit Pfadfinder-Keksen oder Aufkleber in der Hand haben – »Unterstützt die Derry Tigers!« Dann lächelte die alte Frau … aber es war ein trauriges Lächeln.
    »Nun, Sie müssen schon lange den Kontakt verloren haben mit ihm, Miss. Es tut mir leid, dass ich – eine Fremde – Ihnen das sagen muss, aber Ihr Vater ist gestorben. Vor fünf Jahren schon.«
    »Aber … auf der Klingel …« Sie schaute noch einmal genau hin, und dann lachte sie auf. Es war ein leises, verwirrtes Lachen, das fast wie ein Schluchzen klang. In ihrer Aufregung, in ihrer unterbewussten felsenfesten Überzeugung, dass der alte Mann noch hier sein würde, hatte sie KERSH als MARSH gelesen.
    »Sind Sie Mrs. Kersh?«, fragte sie, immer noch verwirrt. Sie war betroffen über die Mitteilung, dass ihr Vater tot war, aber sie ärgerte sich auch über ihren Irrtum – die Dame musste sie ja für eine Analphabetin halten.
    »Ja«, bestätigte die alte Frau.
    »Sie … haben meinen Vater gekannt?«
    »Nur ein bisschen kannte ich ihn«, erwiderte Mrs. Kersh. Sie klang ein wenig wie Yoda aus Das Imperium schlägt zurück, und Beverly war wieder zum Lachen zumute. Wann waren ihre Gefühlsumschwünge jemals so heftig gewesen? Um die Wahrheit zu sagen, sie konnte sich nicht erinnern … aber sie hatte große Angst, dass sie es bald schon können würde. »Die Erdgeschosswohnung hatte er vor mir gemietet. Wir

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