Es: Roman
Asthma-Spray zu Hilfe. Dann fing er wieder an, sich stammelnd zu entschuldigen. Er verstummte erst, als er sah, dass Mr. Keene ihn anlächelte – wieder dieses sonderbar trockene Lächeln. Mr. Keenes Hände waren über seinem Bauch verschränkt, der Ballon lag auf dem Schreibtisch. Plötzlich kam Eddie ein Gedanke; er versuchte ihn zu verdrängen, aber es gelang ihm nicht. Mr. Keene sah aus, als hätte Eddies Asthmaanfall ihm besser geschmeckt als sein nur halb ausgetrunkener Kaffee-Soda.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte der Apotheker. »Ruby wird nachher alles aufwischen, und – ehrlich gesagt – bin ich ganz froh, dass du das Glas zerbrochen hast, Eddie, denn ich verspreche dir, deiner Mutter nichts von dem zerbrochenen Glas zu sagen, wenn du mir versprichst, deiner Mutter nichts von unserer Unterhaltung zu sagen.«
»O ja, das verspreche ich«, sagte Eddie eifrig.
»Gut. Wir haben also ein Abkommen getroffen. Wie fühlst du dich jetzt, Eddie? Nicht gleich viel besser?«
Eddie nickte.
»Warum?«
»Warum? Nun … weil ich meine Medizin hatte.« Er sah Mr. Keene so an, wie er in der Schule Mrs. Casey ansah, wenn er sich nicht ganz sicher war, die richtige Antwort gegeben zu haben.
»Aber du hast gar keine Medizin gehabt«, sagte Mr. Keene, »sondern nur ein Placebo. Das ist etwas, was wie Medizin aussieht und wie Medizin schmeckt, aber keine Medizin ist. Ein Placebo ist keine Medizin, weil keine medizinisch wirksamen Bestandteile darin enthalten sind. Oder vielleicht ist es eine Medizin … eine Medizin ganz spezieller Art. Ein Placebo kann … kann eine Medizin für den Kopf sein. Verstehst du das, Eddie? Eine Medizin für den Kopf.«
Eddie verstand ganz genau; Mr. Keene gab ihm zu verstehen, dass er verrückt war. Aber er sagte mit gefühllosen Lippen: »Nein, ich verstehe nicht.«
»Ich will dir mal eine kleine Geschichte erzählen, Eddie«, sagte Mr. Keene. »Im Jahre 1954 wurde in der DePaul-Universität eine medizinische Testreihe bei Patienten mit Geschwüren durchgeführt. Hundert Patienten bekamen Tabletten. Ihnen wurde gesagt, dass die Tabletten ihnen helfen würden. 50 Prozent der Tabletten waren richtige Geschwürmedikamente, die anderen 50 Prozent waren nur Placebos … M&Ms mit einem einheitlichen rosafarbenen Überzug.« Mr. Keene kicherte schrill, wie jemand, der einen Streich beschreibt und kein Experiment. Von diesen hundert Patienten sagten dreiundneunzig hinterher, sie verspürten eine deutliche Besserung, und bei einundachtzig zeigte sich auch eine Besserung. Was sagst du dazu? Was für einen Schluss ziehst du aus einem solchen Experiment, Eddie?«
»Ich weiß nicht«, flüsterte Eddie.
Mr. Keene tippte sich ernst an den Kopf. »Die meisten Krankheiten nehmen hier ihren Anfang, das ist es, was ich glaube, Eddie. Ich bin schon sehr lange in diesem Geschäft, und ich wusste schon lange vor diesen Experimenten in der DePaul-Universität über Placebos Bescheid. Normalerweise sind es alte Menschen, denen Placebos verschrieben werden. Der alte Mann oder die alte Frau geht zu ihrem Arzt und ist überzeugt davon, eine Herzkrankheit oder Krebs oder Diabetes oder sonst irgendwas Gefährliches zu haben. Nun, in den meisten Fällen trifft das nicht zu. Sie fühlen sich nicht gut, weil sie alt sind, das ist alles. Aber was soll ein Arzt in solchen Fällen tun? Soll er ihnen sagen, dass sie wie Uhren mit abgenutzten Federn sind? Hm! Kaum. Ärzte mögen ihr Honorar zu sehr.« Und jetzt hatte Mr. Keenes Gesicht einen Ausdruck zwischen Lächeln und höhnischem Grinsen.
Eddie saß nur da und wollte, dass es vorbei war, vorbei, vorbei. Du hast keine Medizin gehabt, diese Wörter tanzten in seinem Verstand.
»Die Ärzte sagen es ihnen nicht, und ich auch nicht. Warum auch? Manchmal kommt ein alter Mann mit einem Rezept herein, auf dem es deutlich steht: Placebo, oder 1,5 Gramm Blue Skies, wie der alte Doc Pearson immer geschrieben hat.«
Mr. Keene kicherte ein wenig und saugte an seinem Kaffee-Soda.
»Was soll daran falsch sein?«, fragte er Eddie, und als Eddie nur stumm dasaß, beantwortete Mr. Keene seine eigene Frage: »Nichts! Überhaupt nichts.
Jedenfalls normalerweise nicht.
Placebos sind ein wahrer Segen für alte Menschen. Und dann gibt es auch jene anderen Fälle – Leute mit Krebs, schweren Herzkrankheiten, Leute mit schrecklichen Krankheiten, die wir bis jetzt noch nicht verstehen, einige davon Kinder wie du, Eddie! Wenn in solchen Fällen ein Placebo dem Patienten das Gefühl gibt,
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