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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sich besser zu fühlen, so kann ich darin nichts Negatives sehen. Du etwa, Eddie?«
    »Nein, Sir«, murmelte Eddie und betrachtete den Flecken Eiscreme, Sodawasser, Schlagsahne und Glassplitter am Boden. In der Mitte von allem eine Maraschinokirsche, so anklagend wie ein Blutfleck am Schauplatz eines Verbrechens. Bei diesem Anblick spürte er, wie ihm die Kehle wieder eng wurde.
    »Dann denken wir dasselbe. Weißt du, vor fünf Jahren, als Vernon Maitland Speiseröhrenkrebs hatte – eine besonders schmerzhafte Krebsart -, und die Ärzte mit keinen Medikamenten mehr gegen seine Schmerzen ankamen, besuchte ich ihn im Krankenhaus und brachte ihm eine Flasche Zuckerpillen mit. Er war ein enger Freund von mir. Und ich sagte: ›Vern, das hier sind spezielle Schmerztabletten. Die Ärzte wissen nicht, dass ich sie dir gebe, also sei, um Gottes willen, vorsichtig. Ich kann nicht garantieren, dass sie dir helfen werden, aber ich vermute es. Nimm nicht mehr als eine Tablette pro Tag, wenn die Schmerzen besonders heftig sind.‹ Er dankte mir mit Tränen in den Augen. Tränen, Eddie! Und was soll ich sagen, sie wirkten bei ihm, jawohl! Es waren nur Zuckerpillen, aber sie betäubten seine Schmerzen … weil Schmerzen hier entstehen.«
    Wieder tippte er sich an den Kopf.
    Eddie sagte: »Meine Medizin wirkt aber wirklich.«
    »Das weiß ich«, antwortete Mr. Keene und lächelte ein schrecklich überhebliches Erwachsenenlächeln. »Sie wirkt auf deine Lunge, weil sie auf deinen Kopf wirkt. HydrOx, Eddie, ist Wasser mit einer Spur Kampfer, damit es nach Medizin schmeckt.«
    »Nein!«, rief Eddie. Sein Atem ging jetzt wieder pfeifend.
    Mr. Keene trank von seinem Soda, aß etwas halb geschmolzenes Eis und wischte sich bedächtig das Kinn mit seinem Taschentuch ab, während Eddie wieder sein Asthma-Spray benutzte.
    »Ich möchte jetzt gehen«, sagte Eddie.
    »Lass mich bitte ausreden«, erwiderte Mr. Keene.
    »Nein, ich möchte jetzt gehen. Sie haben Ihr Geld bekommen, und ich möchte gehen!«
    »Lass mich ausreden«, sagte Mr. Keene noch einmal, so eindringlich, dass Eddie sitzen blieb. Erwachsene hatten manchmal so eine schreckliche Macht – er hasste sie dafür.
    »Ein Teil des Problems besteht darin, dass dein Arzt, Russ Handor, schwach ist. Und der andere Teil des Problems liegt darin, dass deine Mutter fest davon überzeugt ist, dass du krank bist. Und du, Eddie, zappelst dazwischen wie ein Fisch im Netz.«
    »Ich bin nicht verrückt«, flüsterte Eddie heiser.
    Mr. Keene beugte sich vor; sein Stuhl knarrte wie eine monströse Grille. »Was?«
    »Ich sagte, ich bin nicht verrückt!«, schrie Eddie und errötete gleich darauf heftig.
    Mr. Keene lächelte. Denk was du willst, sagte dieses Lächeln. Denk, was du willst, und ich denke, was ich will.
    »Ich will dir nur sagen, Eddie, dass du nicht körperlich krank bist. Deine Lunge hat kein Asthma, dein Verstand hat es.«
    »Sie meinen, ich bin verrückt.«
    »Das weiß ich nicht«, sagte er leise. »Bist du es denn?«
    »Das ist eine Lüge!«, schrie Eddie und war ganz überrascht, dass die Wörter so kraftvoll aus seiner engen Brust herauskamen. Er dachte an Bill, überlegte, wie Bill wohl auf so schreckliche Anklagen reagieren würde. Bill wüsste bestimmt trotz seines Stotterns etwas darauf zu erwidern. Bill konnte tapfer sein. »Das ist eine Lüge, ich habe Asthma.«
    »Ja«, sagte Mr. Keene, und nun war das trockene Lächeln zu einem unheimlichen Skelettgrinsen geworden. »Aber wer hat es dir gegeben?« Eddies Gehirn klopfte und wirbelte. Oh, ihm war elend, ihm war schrecklich elend.
    »Vor vier Jahren, 1954 – eigenartigerweise in jenem Jahr, als die Tests an der DePaul-Universität durchgeführt wurden -, begann Dr. Handor, dir HydrOx zu verschreiben – eine Abkürzung von Hydrogen und Oxygen, den beiden Bestandteilen von Wasser. Ich habe dieses Täuschungsmanöver vier Jahre lang unterstützt, aber jetzt will ich mich nicht mehr dazu hergeben. Deine Asthmamedizin wirkt auf den Verstand, nicht auf den Körper. Dein Asthma ist die Folge einer nervösen Kontraktion deines Zwerchfells, die von deinem Verstand befohlen wird … oder von deiner Mutter.
    Du bist nicht krank.«
    Ein schreckliches Schweigen breitete sich aus.
    Eddie saß wie angewurzelt auf seinem Stuhl, aber in seinem Kopf wirbelten die Gedanken. Einen Moment lang erwog er die Möglichkeit, dass Mr. Keene ihm die Wahrheit gesagt hatte, aber diese Vorstellung zog Konsequenzen nach sich, denen er sich nicht zu

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