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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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stellen vermochte. Aber weshalb sollte Mr. Keene lügen, besonders in einer so ernsten Angelegenheit?
    Mr. Keene saß da und lächelte sein trockenes, herzloses Wüstenlächeln.
    Ich habe Asthma, ich habe es wirklich . An jenem Tag, als Henry Bowers mich auf die Nase schlug, an jenem Tag, als Bill und ich versuchten, in den Barrens einen Damm zu bauen – da wäre ich fast gestorben. Soll ich wirklich glauben, dass ich mir das einfach nur … eingebildet habe?
    Aber weshalb sollte er lügen? (Erst Jahre später, in der Bücherei, stellte sich Eddie die schrecklichere Frage: Warum sollte er mir die Wahrheit sagen? )
    Nur undeutlich hörte er Mr. Keene sagen: »Ich habe dich immer beobachtet, Eddie. Ich glaube, ich habe es dir jetzt gesagt, weil du alt genug bist, um es zu verstehen, aber auch, weil ich bemerkt habe, dass du endlich Freunde gefunden hast. Es sind wirklich gute Freunde, stimmt’s?«
    »Ja«, sagte Eddie.
    Mr. Keene schob seinen Stuhl zurück (der wieder dieses grillenartige Geräusch von sich gab) und schloss ein Auge, was wohl ein Zwinkern sein sollte. »Und ich wette, deine Mutter mag sie nicht besonders, stimmt’s?«
    »Sie mag sie sehr«, widersprach Eddie und dachte dabei an die abfälligen Bemerkungen seiner Mutter über Richie Tozier (Er hat ein übles Mundwerk … und ich habe seinen Atem gerochen, Eddie … ich glaube, er raucht), an ihren »gut gemeinten« Rat, Stan Uris kein Geld zu leihen, weil er Jude sei, an ihre ausgesprochene Abneigung gegen Bill Denbrough und »diesen fetten Jungen«.
    Mr. Keene gegenüber beharrte er jedoch darauf: »Sie mag sie sogar sehr.«
    »Wirklich?«, sagte Mr. Keene immer noch lächelnd. »Nun, vielleicht hat sie recht, vielleicht nicht, aber wenigstens hast du Freunde. Vielleicht solltest du mit ihnen über dein Problem sprechen. Diese … diese Geistesschwäche. Finde raus, was sie dazu zu sagen haben.«
    Eddie gab keine Antwort; es erschien ihm sicherer, sich nicht weiter mit Mr. Keene zu unterhalten. Und er befürchtete, wirklich noch in Tränen auszubrechen, wenn er nicht möglichst rasch hier herauskam.
    »Nun«, sagte Mr. Keene und stand auf. »Ich glaube, das war’s, Eddie. Es tut mir leid, wenn ich dich verstört habe. Ich habe nur getan, was ich für meine Pflicht hielt. Ich …«
    Aber bevor er noch etwas sagen konnte, hatte Eddie das Asthma-Spray und die weiße Tüte mit den Tabletten gepackt und war weggelaufen. Er rutschte mit einem Fuß in der Schweinerei am Boden aus und wäre beinahe hingefallen. Dann lief er und floh trotz seines pfeifenden Atems aus dem Center Street Drugstore. Ruby sah ihn mit offenem Mund über ihre Filmzeitschrift hinweg an.
    Hinter sich schien er Mr. Keene zu spüren, der unter der Bürotür stand und seinen linkischen Rückzug beobachtete – hager und adrett und nachdenklich und lächelnd. Dieses trockene Wüstenlächeln.
    An der großen Kreuzung von Kansas, Main und Center Street blieb Eddie stehen und benutzte wieder sein Asthma-Spray; dann setzte er sich auf die niedrige Steinmauer neben der Bushaltestelle – seine Kehle war jetzt schon ganz schleimig von der Medizin
    (nichts weiter als Wasser mit einer Spur Kampfer)
    und er dachte, dass er sich höchstwahrscheinlich übergeben würde, wenn er heute noch einmal sein Asthma-Spray benutzen musste.
    Er schob es langsam in die Tasche und beobachtete den Verkehr. Er versuchte, an nichts zu denken. Die Sonne brannte glühend heiß auf seinen Kopf. Von jedem vorbeifahrenden Auto sprangen ihm die reflektierten Sonnenstrahlen in die Augen, und in seinen Schläfen regte sich leichtes Kopfweh. Er brachte es nicht fertig, böse auf Mr. Keene zu sein, aber er tat sich selbst leid. Er tat sich selbst sehr leid. Er vermutete, dass Bill Denbrough nie Zeit mit Selbstmitleid vergeudete, aber er selbst kam einfach nicht dagegen an.
    Lieber als alles andere hätte er jetzt genau das getan, was Mr. Keene vorgeschlagen hatte: in die Barrens gehen und seinen Freunden alles erzählen und ihre Meinung darüber hören und erfahren, welche Antworten sie hatten. Aber das konnte er jetzt nicht tun. Seine Mutter erwartete ihn bald mit den Medikamenten zurück
    (dein Verstand … oder deine Mutter)
    und wenn er nicht kam
    (deine Mutter ist fest davon überzeugt, dass du krank bist)
    würde es Schwierigkeiten geben. Sie würde sofort vermuten, dass er mit Bill oder Richie zusammen gewesen war oder mit dem »Judenjungen«, wie sie Stan nannte (wobei sie immer betonte, diese Bezeichnung sei kein

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