Es: Roman
Avery möglicherweise doch real war, und (3) die Möglichkeit, dass sie ihn zugunsten von Avery hinauswerfen konnten.
Eines Nachmittags gegen halb drei, kurz nachdem er mit dem Schulbus vom Kindergarten zurückgekommen war, ging er in Averys Zimmer. Es war Januar, und draußen schneite es. Ein heftiger Wind fegte über den McCarron Park und rüttelte an den vereisten Fenstern im ersten Stock. Patricks Mutter machte in ihrem Schlafzimmer ein Nickerchen, da Avery in der Nacht sehr unruhig gewesen war. Sein Vater war bei der Arbeit. Avery schlief auf dem Bauch, den Kopf zur Seite gewandt.
Mit völlig ausdruckslosem Mondgesicht drehte Patrick Averys Kopf so, dass das Gesicht direkt ins Kissen gepresst wurde. Avery gab einen schnüffelnden Laut von sich und drehte den Kopf wieder zur Seite. Patrick beobachtete das und dachte darüber nach, während der Schnee an seinen gelben Stiefeln schmolz und auf dem Boden eine Pfütze bildete. Nach etwa fünf Minuten (Patrick war seit jeher kein Schnelldenker) drückte er Averys Gesicht wieder ins Kissen und hielt dabei seinen Kopf fest. Das Baby bewegte sich unter seiner Hand, sträubte sich aber nur schwach. Patrick ließ es los. Avery drehte den Kopf wieder zur Seite, schnaufte ein wenig, stieß einen leisen Schrei aus und schlief weiter. Der Wind heulte und rüttelte an den Fenstern. Patrick lauschte, ob der leise Schrei seine Mutter geweckt hatte. Das war aber nicht der Fall.
Nun überkam Patrick eine wahnsinnige Erregung. Zum ersten Mal in seinem Leben schien die Welt völlig klare Konturen anzunehmen. Seine emotionalen Fähigkeiten waren sehr unterentwickelt, aber in diesen wenigen Augenblicken fühlte er sich wie ein völlig Farbenblinder, den irgendeine Spritze plötzlich in die Lage versetzen würde, für kurze Zeit Farben wahrzunehmen … oder wie ein Drogensüchtiger nach einem Schuss, wenn die Heroinrakete in seinem Kopf gerade startete. Es war für Patrick eine ganz neue Erfahrung. Er hatte nicht gewusst, dass es so etwas gab.
Sehr behutsam presste er Averys Gesicht wieder ins Kissen. Als das Baby diesmal anfing, sich zu sträuben, ließ er nicht los, sondern drückte noch fester zu. Es weinte jetzt ins Kissen hinein, und Patrick wusste, dass es wach war. Er hatte die vage Idee, dass es ihn vielleicht bei seiner Mutter verpetzen könnte. Er hielt es fest. Das Baby zappelte, um sich zu befreien. Patrick ließ nicht los. Das Baby furzte, seine Bewegungen wurden immer schwächer. Patrick ließ immer noch nicht los. Schließlich regte es sich nicht mehr. Patrick presste sein Gesicht noch weitere fünf Minuten ins Kissen, bis seine Erregung langsam abflaute, bis die Welt wieder grau wurde, der Rausch in einen gewohnten Dämmerzustand überging.
Er ging nach unten, goss sich ein Glas Milch ein und aß dazu Kekse. Eine halbe Stunde später kam seine Mutter herunter und sagte, sie habe ihn nicht einmal nach Hause kommen hören, so müde sei sie gewesen (das wirst du von nun an nicht mehr sein, Mama, dachte Patrick, ich habe die Sache in die Hand genommen). Sie setzte sich zu ihm, aß einen Keks und fragte ihn, wie es im Kindergarten gewesen sei. Er antwortete, es sei okay gewesen, und zeigte ihr seine Zeichnung von einem Haus und einem Baum. Das Papier war mit braunem und schwarzem Farbstift sinnlos bekritzelt. Seine Mutter sagte, es sei sehr hübsch. Patrick brachte jeden Tag solche braunschwarzen Kritzeleien – wilde, ineinander verschlungene Kreise und Spiralen – mit nach Hause. Manchmal sollten sie einen Truthahn darstellen, manchmal einen Weihnachtsbaum, manchmal einen Jungen. Seine Mutter sagte immer, die Zeichnung sei sehr schön … obwohl sie sich manchmal im tiefsten Innern ernste Sorgen machte. Diese großen, wilden, braunschwarzen Spiralen hatten in ihrer düsteren Eintönigkeit etwas Beunruhigendes an sich.
Sie entdeckte Averys Tod erst kurz vor fünf; bis dahin hatte sie geglaubt, er schlafe einfach besonders lang. Um diese Zeit schaute Patrick sich im Fernsehen Crusader Rabbit an, und er blieb während des ganzen folgenden Aufruhrs vor dem Fernseher sitzen. Er sah auch weiter fern, als Mrs. Henley von nebenan kam (seine kreischende Mutter hatte das tote Baby aus der offenen Küchentür gehalten, weil sie in ihrer blinden Verzweiflung möglicherweise glaubte, die kalte Luft könne es wiederbeleben; Patrick hatte gefroren und sich einen Pullover aus dem Schrank im Erdgeschoss geholt). Highway Patrol, Ben Hanscoms Lieblingssendung, lief gerade, als Mr.
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