Es: Roman
gewesen.
Allerdings musste er feststellen, dass der Kühlschrank in der Nähe der Müllhalde ihn gewaltig in seinen Bann gezogen hatte. Er begann ihn im Unterricht zu zeichnen, wenn er sich langweilte. Manchmal träumte er nachts davon, und in seinen Träumen war der Amana etwa zwanzig Meter groß, eine weiß getünchte Krypta, von kaltem Mondlicht überflutet. In diesen Träumen schwang die riesige Tür auf, und er sah große Augen, die ihn aus dem Innern anstarrten. Er erwachte schweißgebadet aus solchen Träumen, und doch konnte er auf die Genüsse des Kühlschranks einfach nicht mehr verzichten.
An diesem Tag hatte er nun endlich erfahren, wer ihn verdächtigte. Bowers. Zu wissen, dass Henry Bowers das Geheimnis des Kühlschranks kannte, hatte ihn einer Panik so nahe gebracht, wie ihm das überhaupt möglich war. Das war in Wirklichkeit nicht sehr nahe; aber immerhin fand er das Gefühl, das eher mentale Unruhe als Angst war, unangenehm und belastend. Henry wusste Bescheid. Er wusste, dass Patrick manchmal die Regeln übertrat.
Sein letztes Opfer war eine Taube gewesen, die er vor zwei Tagen auf der Jackson Street entdeckt hatte. Die Taube war von einem Auto angefahren worden und konnte nicht mehr fliegen. Er war nach Hause gegangen, hatte seinen Karton aus der Garage geholt und die Taube hineingelegt. Sie hatte ihm die Hand blutig gepickt, aber das hatte ihm nichts ausgemacht. Als er am nächsten Tag den Kühlschrank geöffnet hatte, war die Taube tot gewesen, doch Patrick hatte sie noch nicht weggeworfen. Nach Henrys Drohung, ihn zu verpetzen, beschloss er allerdings, dass es besser war, sie loszuwerden. Vielleicht sollte er auch einen Eimer Wasser und ein paar Lappen holen und den Kühlschrank innen auswaschen. Er roch nicht sehr gut. Wenn Henry es erzählte, und wenn Mr. Nell nachsehen kam, würde er vermutlich feststellen können, dass in dem Kühlschrank jemand gestorben war, und zwar nicht nur ein einziges Lebewesen.
Wenn er mich verpetzt, dachte Patrick, während er auf dem Pfad stand und den rostigen Kühlschrank anstarrte, werde ich verraten, dass er Eddie Kaspbrak den Arm gebrochen hat. Vermutlich wussten sie das ohnehin, aber sie konnten ihm nichts beweisen, weil sie alle erklärt hatten, an jenem Tag draußen bei Henry gespielt zu haben, und weil Henrys verrückter Vater ihre Aussage bestätigt hatte. Aber wenn er mich verpetzt, verpetze ich ihn auc h. Wie du mir, so ich dir.
Doch jetzt musste er erst einmal den Vogel loswerden. Er würde die Kühlschranktür offen stehen lassen und dann mit dem Lappen und dem Eimer wiederkommen und gründlich saubermachen.
Patrick öffnete den Kühlschrank – die Tür zu seinem eigenen Tod.
Zuerst war er einfach total verwirrt, unfähig zu glauben, was er da sah. Es sagte ihm überhaupt nichts. Er stand einfach da, den Kopf zur Seite geneigt, und starrte mit weit aufgerissenen Augen in den Kühlschrank hinein.
Von der Taube war nur noch das nackte Skelett übrig, und zerfetzte Federn lagen herum. Und überall an dem Skelett, an den Innenwänden des Kühlschranks, an der Unterseite des Gefrierfachs hingen Dutzende fleischfarbener Dinger, die wie dicke Makkaronistücke aussahen. Patrick bemerkte, dass sie sich leicht bewegten, als würden sie in einer Brise flattern. Aber es war völlig windstill. Er runzelte die Stirn.
Plötzlich breitete eins der Dinger insektenartige Flügel aus, und noch bevor Patrick irgendwie reagieren konnte, ließ es sich mit einem schmatzenden Laut auf seinem linken Arm nieder. Er spürte ein kurzes Brennen, dann fühlte sein Arm sich wie immer an … aber das fahle Fleisch des seltsamen Lebewesens färbte sich erst rosa, dann sehr schnell rot.
Obwohl Patrick sich im eigentlichen Sinne kaum vor etwas fürchtete (es ist schwer, sich vor Dingen zu fürchten, die nicht »real« sind), so gab es doch etwas, vor dem ihm furchtbar ekelte. Mit sieben Jahren war er an einem warmen Augusttag aus dem Brewster-See gestiegen und hatte festgestellt, dass sich vier oder fünf Blutegel an seinem Bauch und seinen Beinen festgesaugt hatten. Er hatte sich heiser gebrüllt, während sein Vater sie entfernt hatte.
Und nun begriff er plötzlich, dass dies eine unheimliche fliegende Abart von Blutegeln sein musste. Sie hatten seinen Kühlschrank heimgesucht.
Patrick begann zu schreien und nach dem Ding auf seinem Arm zu schlagen, das inzwischen fast zur Größe eines Tennisballs aufgequollen war. Beim dritten Schlag platzte es. Blut – sein Blut –
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