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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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und zum einsamen Einzelgänger (oder Verlierer) geworden ist, sowohl durch eigenen Entschluss als auch durch die Einstellung der Gesellschaft ihm gegenüber, und dann plötzlich einen Freund oder Liebespartner findet, wird er manchmal nur noch für diesen einen Menschen leben, so wie ein Hund für seinen Herrn lebt. Das scheint bei Heroux und Hartwell der Fall gewesen zu sein.
    Die vier Männer wollten jene Nacht im Brentwood Arms Hotel verbringen, das unter den Holzfällern damals bekannter war unter dem Namen »The Floating Dog« (der Grund dafür ist wohl mit dem Hotel untergegangen und in Vergessenheit geraten). Die vier Männer checkten in dem Hotel ein, keiner von ihnen checkte jemals wieder aus. Einer – Andy De-Lesseps verschwand spurlos; es gab Gerüchte, dass er den Rest seines Lebens friedlich in Portsmouth verbracht haben soll. Aber irgendwie zweifle ich daran. Zwei weitere »Rädelsführer« trieben mit den Bäuchen nach unten im Kenduskeag: Amsel Bickford und Davey Hartwell. Bickford hatte keinen Kopf mehr – jemand hatte ihn mit einer schweren Holzfälleraxt abgeschlagen. Hartwell fehlten beide Beine, und jene, die ihn gefunden hatten, schworen, sie hätten auf einem menschlichen Gesicht nie einen solchen Ausdruck von Schmerz und Entsetzen gesehen. Er hatte irgendetwas im Mund, das seine Wangen aufzublähen schien, und als man ihn umdrehte, fielen sieben seiner Zehen heraus. Manche glaubten, die restlichen drei hätte er irgendwann beim Holzfällen verloren; andere vertraten die Ansicht, man hätte ihm die Zehen in den Mund gestopft, als er noch lebte, und er hätte sie verschluckt.
    An die Hemdrücken beider Männer war ein Blatt Papier mit der Aufschrift GEWERKSCHAFTSMANN geheftet.
    Claude Heroux konnte für das, was am Abend des 9. September 1905 im Silver Dollar geschah, nie vor Gericht gestellt werden, und deshalb weiß niemand genau, auf welche Weise er dem Schicksal der anderen in jener Mainacht entging. Wir können nur Vermutungen anstellen; er war lange völlig auf sich allein gestellt gewesen, hatte gelernt, rasch zu reagieren, hatte vielleicht auch den Spürsinn mancher Straßenköter entwickelt, sich rechtzeitig aus dem Staub zu machen. Aber warum hat er dann Hartwell nicht mitgenommen? Oder war er zusammen mit den anderen »Agitatoren« in die Wälder geschleppt worden? Vielleicht hatten die Mörder ihn sich für zuletzt aufgespart, und er hatte entkommen können, während Hartwells Schreie (die, nachdem man ihm seine eigenen Zehen in den Mund gestopft hatte, sicherlich nur noch gedämpft zu hören waren) durch die Dunkelheit gellten und Vögel aus ihren Nestern aufscheuchten. Es lässt sich nicht mehr feststellen, aber intuitiv glaube ich, dass die letztgenannte Variante der Wahrheit entspricht.
    Claude Heroux führte von nun an eine Art Schattendasein. Er tauchte beispielsweise in einem Holzfällerlager im St. John Valley auf, stellte sich mit den anderen zur Essensausgabe an, bekam seinen Teller Eintopf, aß es und verschwand, bevor jemandem auffiel, dass er gar nicht dazugehörte. Wochen später kam er dann etwa in eine Bierkneipe in Winterport, führte pro-gewerkschaftliche Reden und schwor, er werde sich an den Männern rächen, die seine Freunde ermordet hatten – am häufigsten erwähnte er die Namen Hamilton Tracker, William Mueller und Richard Bowie. Sie alle lebten in Derry, und ihre Häuser mit den Giebeln, Erkern und Türmchen stehen bis heute am West Broadway. Jahre später setzten sie und ihre Nachkommen das Black Spot in Brand.
    Dass es Leute gab, die Claude Heroux gern aus dem Weg geräumt hätten, besonders nach den Waldbränden, die im Juni begonnen hatten, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Aber obwohl Heroux häufig gesehen wurde, so war er doch sehr schnell und hatte bei drohenden Gefahren den Instinkt eines Raubtiers. Soviel ich herausbringen konnte, wurde nie ein offizieller Haftbefehl gegen ihn ausgestellt, und die Polizei unternahm nie etwas. Vielleicht hatten gewisse Leute Angst vor dem, was Heroux aussagen könnte, wenn man ihn wegen Brandstiftung vor Gericht stellte.
    Jedenfalls brannten in jenem heißen Sommer die Wälder in der Umgebung von Derry und Haven. Kinder verschwanden, es gab mehr heftige tätliche Auseinandersetzungen und mehr Morde als in anderen Jahren, und Angst lag in der Luft – Angst, die ebenso wahrnehmbar war wie der Rauch, der vom Up-Mile Hill herabstieg.
    Am 1. September regnete es dann endlich, und der Regen hielt eine ganze

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