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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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vielleicht war es ganz richtig so. War es das, was er meinte? Dass er schließlich erkannt hatte, dass es ganz in Ordnung war, sie zu lieben, obwohl sie wie seine Mutter aussah, als diese jünger war, und obwohl sie im Bett Brownies aß, während sie Hardcastle & McCormick oder Falcon Crest schaute und die Krümel ständig auf seiner Seite landeten? Obwohl sie nicht allzu klug war, ja sogar obwohl sie so viel Verständnis hatte und ihm die vielen Hilfsmittelchen im Arzneimittelschränkchen verzieh, weil sie ihre eigenen im Kühlschrank hatte?
    Oder war er es …
    Konnte es sein, dass …
    Diese ganzen Gedanken hatte er sich bereits dann und wann während seines seltsam verwobenen Lebens als Sohn und Geliebter und Ehemann gemacht; und nun, da er sein Zuhause zum vielleicht letzten Mal verließ, eröffnete sich ihm eine neue Erkenntnis, streifte ihn blitzartig wie der Flügel eines großen Vogels.
    Konnte es sein, dass Myra noch größere Angst hatte als er?
    Dass auch seine Mutter größere Angst gehabt hatte?
    Wieder schoss eine Erinnerung aus seiner Kindheit in Derry wie ein böse funkelndes Feuerwerk an die Oberfläche seines Bewusstseins. In der Innenstadt, genauer gesagt in der Center Street, hatte es ein Schuhgeschäft namens Shoeboat gegeben. Eines Tages hatte ihn seine Mutter dorthin mitgenommen – er war damals nicht viel älter als fünf oder sechs gewesen – und ihm befohlen still zu sitzen, während sie sich ein Paar weiße Pumps für eine Hochzeit aussuchte. Also blieb er brav still sitzen, während seine Mutter sich mit Mr. Gardener, einem der Schuhverkäufer, unterhielt. Aber er war erst fünf (oder sechs), und nachdem seiner Mutter auch das dritte Paar Pumps, das Mr. Gardener ihr zeigte, nicht gefiel, wurde es Eddie zu langweilig. Er war zur anderen Seite des Geschäfts gegangen, wo er etwas erspäht hatte. Zuerst sah es aus wie eine auf der Kante stehende große Kiste. Als er näher kam, hielt er es für eine Art Tisch – den verrücktesten Tisch, den er je gesehen hatte, da er wirklich sehr, sehr schmal war. Er bestand aus hellem, poliertem Holz und hatte jede Menge Schnitzereien und Verzierungen. Außerdem führten ein paar Stufen an seiner Seite empor, und einen Tisch mit Stufen hatte Eddie noch nie gesehen. Als er die Stufen hochgegangen war, entdeckte er unten einen Schlitz, an der Seite einen Knopf und oben etwas, was genauso aussah wie – tada! – das Weltraumteleskop von Captain Video.
    Eddie war um das komische Ding herumgelaufen, und da war ein Schild. Er musste mindestens sechs gewesen sein, denn er konnte es lesen und flüsterte nun jedes Wort einzeln:
    PASSEN IHRE SCHUHE RICHTIG?
KONTROLLIEREN SIE ES!
    Er war die drei Stufen bis zum Schlitz wieder hinaufgestiegen und hatte seinen Fuß hineingeschoben. Passten seine Schuhe richtig? Eddie wusste es nicht, aber er war ganz wild darauf, es zu kontrollieren. Er hatte sein Gesicht in die Gummi-Schutzmaske gesteckt und auf den Knopf gedrückt. Grünes Licht sprang ihm in die Augen, und er hielt den Atem an, als sein Fuß plötzlich durchsichtig wurde und wie grüner Rauch in seinem Schuh zu schweben schien. Er wackelte mit den Zehen, und die Zehen, die er sah, wackelten ebenfalls – okay, es waren also seine Zehen, genau wie er vermutet hatte. Und dann begriff er, dass er nicht nur seine Zehen, sondern auch seine Knochen sehen konnte! Die Knochen in seinem Fuß! Er kreuzte den großen Zeh über den zweiten, und die Knochen der beiden Zehen ergaben ein X von gespenstisch grüner Farbe. Er konnte sehen, wie …
    Dann hatte seine Mutter in wilder Panik aufgeschrien, was sich in dem stillen Geschäft angehört hatte wie eine kreischende Mähmaschine, wie eine Feuersirene, wie ein reitender Unglücksbote. Er hatte aufgeschaut und gesehen, dass sie auf ihn zugerannt kam, nur in Strümpfen, mit wehendem Kleid. Sie warf in der Hektik einen Stuhl um und eins dieser Schuhgrößen-Messdinger, die ihn immer so an den Füßen kitzelten. Ihr Busen wogte auf und ab. Ihr Mund war ein scharlachrotes O des Entsetzens. Alle Gesichter waren ihr zugewandt. Und sie schrie.
    »Eddie, geh da weg! Geh da weg! Diese Maschinen verursachen Krebs! Geh da weg! Eddie, Eddie, Eddie …«
    Er war zurückgezuckt, als wäre die Maschine plötzlich glühend heiß geworden. An der Kante der oberen Stufe hatte er das Gleichgewicht verloren und wild mit den Armen um sich geschlagen. Und hatte er nicht in dieser Sekunde mit einer Art verrückter Freude gedacht: Ich werde

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