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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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hinfallen, ich werde endlich erfahren, wie es ist hinzufallen und sich den Kopf anzuschlagen … – hatte er das damals wirklich gedacht oder projizierte nur der erwachsene Mann seine Gedanken in die Erinnerung hinein?
    Es war eine müßige Frage. Seine Mutter hatte ihn aufgefangen, und er war nicht gestürzt, obwohl er in Tränen ausgebrochen war.
    Er erinnerte sich daran, dass alle Leute sie angestarrt hatten. Mr. Gardener hatte das Schuhgrößen-Messding aufgehoben und nachgesehen, ob der kleine Schieber daran abgebrochen war, während ein anderer Verkäufer den Stuhl wieder aufrichtete und in amüsiertem Widerwillen die Hände über dem Kopf zusammenschlug, bevor er rasch wieder seine unbewegte Miene aufsetzte. Aber am stärksten erinnerte Eddie sich an die nasse Wange seiner Mutter und an ihren heißen, sauer riechenden Atem. Er erinnerte sich, wie sie ihm immer wieder beschwörend ins Ohr geflüstert hatte: »Tu das nie wieder, tu das nie wieder, tu das nie, nie wieder.« Es war das Mantra seiner Mutter, das Ärger von ihm abhalten sollte. Das Gleiche hatte sie ihm auch ein Jahr zuvor schon zugeflüstert, als sie herausfand, dass Eddies Babysitterin an einem heißen Sommertag mit ihm ins öffentliche Freibad in Derry Park gegangen war – das war etwa um die Zeit, als die aus den frühen Fünfzigern stammende Angst vor Polio gerade nachließ. Sie hatte ihn aus dem Schwimmbecken gefischt und ihm gesagt, er dürfe das nie wieder tun, nie, nie wieder, und alle Kinder hatten ihn damals so angestarrt wie ihn jetzt die Verkäufer und Kunden anstarrten, und ihr Atem hatte den gleichen Geruch wie an jenem Sommertag.
    Sie schleifte ihn förmlich aus dem Shoeboat, während sie die Verkäufer beschimpfte und ihnen drohte, sie würden sich alle im Gerichtssaal wiedersehen, wenn ihrem Jungen etwas zugestoßen sei. Eddies Tränen waren an jenem Morgen stundenlang nicht versiegt, und er hatte den ganzen Tag über schlimmes Asthma gehabt. Abends im Bett hatte er lange wach gelegen und überlegt, was Krebs eigentlich war, ob er schlimmer als Polio war, ob er einen umbrachte und wenn ja, wie lange es dauerte, bis man daran starb, und ob man dabei große Schmerzen hatte. Außerdem fragte er sich, ob man dann in die Hölle kam.
    Er war eine ernste Bedrohung, dessen war er sich sicher.
    Und das wusste er, weil sie so schreckliche Angst gehabt hatte.
    Sie war so entsetzt gewesen.
    »Marty«, sagte er, als er aus der Vergangenheit wieder auftauchte, »gib mir einen Kuss.«
    Sie trat zu ihm und umarmte ihn so fest, dass sein Rückgrat aufstöhnte. Wenn wir jetzt im Wasser wären, dachte er, würde sie uns beide ertränken.
    »Hab keine Angst«, flüsterte er ihr ins Ohr.
    »Ich kann nichts dafür!«, jammerte sie.
    »Ich weiß«, sagte er und stellte fest, dass sein Asthma besser geworden war, obwohl sie ihn so fest umklammerte. Sein Atem ging nicht mehr so pfeifend und keuchend. »Ich weiß, Marty.«
    Der Taxifahrer hupte wieder.
    »Rufst du mich an?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
    »Wenn ich kann.«
    »Bitte«, jammerte sie. »Bitte, Eddie, kannst du mir nicht sagen, was los ist?«
    Und wenn er es täte? Oh, das würde sie bestimmt sehr beruhigen.
    Marty, heute Abend hat mich Mike Hanlon angerufen, und wir haben uns eine Weile unterhalten, aber eigentlich lief alles auf zwei kurze Sätze hinaus. »Es hat wieder angefangen«, sagte Mike, und dann: »Wirst du kommen?« Und, Marty, dies ist ein Fieber, das sich nicht mit Aspirin kurieren lässt, und ich leide jetzt an einer Atemnot, gegen die mein Asthma-Spray nichts ausrichten kann, denn die Atemnot kommt nicht aus meiner Kehle oder meiner Lunge, sie kommt aus meinem Herzen. Ich werde zu dir zurückkommen, wenn ich kann, Marty, aber ich fühle mich wie ein Mann, der am Eingang eines alten, einstürzenden Minenschachts steht und dem Tageslicht Lebewohl sagt.
    O ja, das wäre wirklich sehr beruhigend.
    »Ich kann nicht, Marty«, sagte er. »Marty, ich muss gehen.«
    Und bevor sie noch etwas sagen konnte, bevor sie von Neuem anfangen konnte (Eddie, steig rasch aus diesem Taxi! Taxen verursachen Krebs!), beschleunigte er seine Schritte. Als er bei dem Taxi angekommen war, rannte er fast.
    Sie stand immer noch auf der Türschwelle, als der Wagen zurücksetzte und wegfuhr, ein großer schwarzer Frauenschatten, der sich vom warmen gelben Licht im Haus abhob. Er winkte und glaubte zu sehen, dass auch sie ihre Hand hob und winkte.
    »Wohin soll’s denn gehen, mein Freund?«, fragte der

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