Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Taxifahrer.
    »Penn Station«, sagte Eddie, und seine Hand, die das Asthma-Spray umklammert hatte, entspannte sich. Das Asthma war verschwunden, tatsächlich verschwunden. Er fühlte sich … fast gut.
    Aber vier Stunden später brauchte er das Asthma-Spray dringender denn je, als er aus einem leichten Schlummer aufschreckte und so verzweifelt nach Atem rang, dass der Mann im Geschäftsanzug, der ihm gegenübersaß, seine Zeitung sinken ließ und ihn besorgt ansah.
    Ich bin wieder da, Eddie!, rief das Asthma schadenfroh. Ich bin wieder da, und weißt du was? Diesmal bringe ich dich vielleicht um! Warum auch nicht? Irgendwann muss es ja passieren! Ich kann mich schließlich nicht ewig mit dir beschäftigen!
    Eddies Brust hob und senkte sich krampfartig. Er schob das Asthma-Spray in den Mund und drückte auf die Flasche. Dann lehnte er sich in dem geräumigen Amtrak-Sitz zitternd zurück und wartete auf Erleichterung. Er dachte an den Traum, aus dem er gerade erwacht war. Traum? Himmel, wenn es doch nur ein Traum gewesen wäre. Er hatte Angst, dass es mehr eine Erinnerung als ein Traum gewesen war, ein Traum mit viel grünem Licht wie jenem in der Röntgenmaschine im Schuhgeschäft, ein Traum, in dem ein bei lebendigem Leibe verfaulender Aussätziger einen schreienden Jungen namens Eddie Kaspbrak durch unterirdische Gänge verfolgte. Er rannte und rannte
    (Eddie kann ziemlich schnell rennen, hatte Mr. Black seiner Mutter gesagt, und mit diesem verrottenden Ding auf den Fersen rannte er wie der Wind, da können Sie Ihren PeoPeo drauf wetten)
    in seinem Traum, in dem er elf Jahre alt war. Dann roch er etwas, was wie Friedhofserde stank, und jemand zündete ein Streichholz an. Er schaute nach unten und sah das halbverweste Gesicht eines Jungen namens Patrick Hockstetter, der im Juli 1958 verschwunden war, und in Patricks Wangen krochen Würmer herum, und dieser fürchterliche Gestank kam aus Patricks Innerem, und in diesem Traum, der mehr Erinnerung als Traum war, blickte er zur Seite und sah zwei Schulbücher, Wege in die Welt und Unser Amerika verstehen, und sie waren mit grünem Schimmel überzogen, weil sie seit Wochen hier unten lagen (»Wie ich meine Sommerferien verbracht habe«, von Patrick Hockstetter: »Ich verbrachte sie tot in einem Tunnel, und meine Schulbücher setzten Schimmel an und quollen zu der Dicke von Sears-Versandhauskatalogen auf«). Eddie öffnete den Mund, wollte schreien, und in diesem Augenblick schlossen sich die rauen Finger des Aussätzigen um seine Kehle, tasteten nach seinem Mund – und dann war er aufgewacht und hatte festgestellt, dass er sich nicht in der Kanalisation unter Derry befand, sondern in einem Erste-Klasse-Abteil eines Zuges saß, der gerade im hellen Licht des Mondes durch Rhode Island raste.
    »Geht es Ihnen gut, Sir?«, fragte der Mann gegenüber, nachdem er es sich lange überlegt hatte.
    »Ja«, sagte Eddie. »Ich hatte einen Albtraum, und das hat einen Asthmaanfall ausgelöst.«
    »Ich verstehe.« Die Zeitung ging wieder in die Höhe. Eddie sah, dass es die Zeitung war, die seine Mutter manchmal statt der New York Times als die Jew York Times bezeichnet hatte – die Zeitung der Juden.
    Eddie blickte aus dem Fenster in die schlafende Landschaft, die nur vom Mond beleuchtet wurde. Hier und da war ein Haus, manchmal auch ein paar nebeneinander, die meisten von ihnen dunkel, einige erleuchtet. Dem Vergleich mit dem geisterhaften Mondschein konnten sie nicht standhalten.
    Er glaubte, der Mond spräche zu ihm, dachte Eddie plötzlich. Henry Bowers. Gott, er war total irre. Er fragte sich, wo Henry Bowers wohl gerade war. Tot? Im Gefängnis? Durchstreifte er die menschenleeren Ebenen wie ein Virus, während er morgens zwischen ein und vier Uhr früh Seven-Eleven-Märkte überfiel? Vielleicht tötete er auch Leute, die dumm genug waren, auf seinen ausgestreckten Anhalterdaumen reinzufallen, und ließ dann das Geld aus ihren Taschen in die seinigen wandern.
    Vielleicht, vielleicht.
    War er irgendwo in einem Irrenhaus eingesperrt und starrte auf den langsam voller werdenden Mond? Sprach er mit ihm, lauschte er Antworten, die nur er hören konnte?
    Diese Möglichkeit erschien Eddie wahrscheinlicher. Er schauderte. Endlich erinnere ich mich an meine Kindheit, dachte er dumpf. Ich erinnere mich an meine Sommerferien in jenem düsteren, toten Jahr 1958. Und er spürte, dass er sich jetzt an alles würde erinnern können, woran er nur wollte – aber er wollte nicht. O Gott, wenn

Weitere Kostenlose Bücher