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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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leicht den Kopf geschüttelt. Er hatte Angst gehabt, war aber fest entschlossen. Er erkannte, dass er zum ersten Mal in seinem Leben bewusst einen Entschluss gefasst hatte, und auch das jagte ihm Angst ein, obwohl er nicht genau wusste, warum. Es sollte Jahre dauern, bis er verstehen würde, dass ihn das kaltblütige Abwägen des Für und Widers, das sorgfältige, pragmatische Durchrechnen seiner Chancen, das das bevorstehende Erwachsenwerden ankündigte, mehr verängstigt hatte als Henry Bowers. Henry würde er vielleicht aus dem Weg gehen können. Das Erwachsensein hingegen, in dessen Rahmen er vermutlich nur noch so denken würde, würde ihn früher oder später kriegen.
    »Spricht jemand da hinten?«, hatte Mrs. Douglas plötzlich laut und scharf gerufen. »Das muss sofort aufhören!«
    In den folgenden zehn Minuten hatte absolute Stille geherrscht, und die jungen Köpfe hatten sich eifrig über die vervielfältigten Prüfungsblätter gebeugt, die nach lilafarbener Matrizentinte rochen. Dann hatte Ben wieder Henrys Flüstern vernommen, kaum hörbar, aber rasend vor Wut:
    »Du bist ein toter Mann, Fettkloß!«

3
     
    Ben nahm sein Zeugnis und flüchtete, und dabei dankte er den Göttern, die es eben für elfjährige Fettklöße gab, dass Henry Bowers einmal nicht durch Fügung der alphabetischen Ordnung vor Ben aus dem Klassenzimmer durfte und ihm auflauern konnte.
    Er rannte nicht wie die anderen Kinder den Korridor entlang – er konnte rennen, und sogar ziemlich schnell für ein Kind seiner Gewichtsklasse, doch war er sich überdeutlich bewusst, wie komisch er dann aussah -, sondern ging raschen Schrittes zur Tür, trat in die helle Junisonne hinaus und wandte ihr einen Augenblick das Gesicht zu, dankbar für die Wärme und für die vor ihm liegende Freiheit. Der September schien eine Million Jahre entfernt zu sein, auch wenn der Kalender etwas anderes behauptete. Der ganze Sommer gehörte ihm, und er hatte das Gefühl, die ganze Welt umarmen zu können. Jemand stieß ihn kräftig an. Die angenehmen Gedanken an den vor ihm liegenden Sommer verschwanden schlagartig, als er taumelte und auf der Kante der obersten Stufe verzweifelt versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Er bekam gerade noch das Eisengeländer zu fassen und vermied so einen schlimmen Sturz.
    »Geh mir aus dem Weg, Fettwanst!« Es war Victor Criss, der nun auf das Eingangstor zustolzierte, das gegelte Haar wie Elvis zurückgekämmt, den Kragen des Hemds hochgeschlagen, die Hände in den Taschen seiner Jeans. Die Absätze seiner Motorradstiefel klapperten.
    Mit laut pochendem Herzen sah Ben, dass Belch Huggins auf der anderen Straßenseite stand und eine Zigarette rauchte, die er Victor reichte, als dieser zu ihm trat. Criss zog daran und gab sie Belch zurück. Dann deutete er auf Ben, der auf halber Treppe erneut stehen geblieben war, und sagte etwas. Beide brachen in schallendes Gelächter aus. Bens Gesicht glühte plötzlich – sie erwischten einen immer. Das war Schicksal oder irgendsowas.
    »Liebst du diesen Ort so sehr, dass du den ganzen Tag hier stehen bleiben willst?«, sagte jemand neben ihm.
    Ben drehte sich um und errötete noch stärker. Es war Beverly Marsh mit ihren herrlichen graugrünen Augen und dem rotgoldenen Haar, das ihr Gesicht wie ein Heiligenschein umrahmte. Sie hatte die Ärmel ihres Sweatshirts bis zu den Ellenbogen hochgeschoben. Es war am Ausschnitt sehr abgetragen und fast so weit wie Bens Sweater, weshalb man nicht sehen konnte, ob sie schon Ansätze von Brüsten hatte oder nicht, aber das war Ben ohnehin egal; auch vorpubertäre Liebe kennt Wogen von alles überwältigender Kraft, und in diesem Augenblick fühlte sich Ben sowohl tölpelhaft als auch hochgestimmt, so verwirrt und verlegen wie noch nie in seinem Leben … und zugleich vollkommen selig. Von der berauschenden Mischung aus komplizierten Gefühlen überschwemmt, wurde ihm ganz schwindelig vor Übelkeit und Freude.
    »Nein«, krächzte er. »Bestimmt nicht.« Ein idiotisches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er wusste, wie idiotisch das aussehen musste, aber er konnte sich einfach nicht dagegen wehren.
    »Dann ist’s ja gut. Die Schule ist nämlich aus, musst du wissen. Gott sei Dank!«
    »Ich …« Noch ein Krächzen. Er musste sich räuspern, und seine Röte wurde womöglich noch intensiver. »Ich wünsch dir einen schönen Sommer, Beverly.«
    »Danke, gleichfalls, Ben. Also dann, bis zum Herbst.«
    Und sie lief weiter die Treppe hinab, und

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