Es: Roman
Gesicht, und sein Herz schmerzte, aber gleichzeitig durchströmte ihn ein seltsames Glücksgefühl. Er vermutete, dass er für sie schwärmte oder in sie verknallt war oder wie man es auch immer nennen wollte, und das war der Grund, warum er immer an Beverly dachte, wenn die Penguins im Radio kamen und »Earth Angel« sangen – »my darling dear / love you all the time …« Ja, es war dumm, zugegeben, und so schmalzig wie ein Butterbrot, aber es war auch in Ordnung, weil er es nie jemandem sagen würde. Fette Jungen dürfen ein hübsches Mädchen nur heimlich lieben, dachte er. Wenn er jemandem seine Gefühle anvertrauen würde (er hatte aber ohnehin niemanden, dem er etwas anvertrauen konnte), so würde die betreffende Person bestimmt lachen, bis sie einen Herzinfarkt bekam. Und wenn er Beverly seine Gefühle gestehen würde, würde sie ihn bestimmt entweder auslachen (und das wäre schlimm) oder angeekelte Kotzgeräusche machen (was noch viel schlimmer wäre).
»Kommt jetzt bitte nach vorn, sobald ich euren Namen aufrufe. Paul Anderson … Carla Bordeaux … Greta Bowie … Calvin Clark … Cissy Clark …«
Mrs. Douglas rief in alphabetischer Reihenfolge die Namen ihrer Fünftklässler auf, und die Kinder traten eins nach dem anderen vor (nur nicht die Clark-Zwillinge, die wie immer zusammen und Hand in Hand vor gingen und nur daran zu unterscheiden waren, dass ihr Haar länger war und er statt eines Rockes Jeans trug), nahmen ihre lederfarbenen Zeugnisse mit der amerikanischen Flagge und dem Treuegelöbnis auf dem vorderen und dem Vaterunser auf dem hinteren Einband in Empfang, gingen manierlich zur Tür … und sausten dann den Gang entlang, an dessen Ende die große Flügeltür weit offen stand. Und so rannten sie in den Sommer hinein – manche hüpfend und springend, andere auf unsichtbaren Pferden reitend, wobei sie sich mit den Händen auf die Schenkel schlugen, um das Hufgetrappel nachzuahmen, wieder andere auf Fahrrädern; manche hängten sich ein, bildeten Ketten und sangen: »Mine eyes have seen the glory of the burning of the school« nach der Melodie von »The Battle Hymn of the Republic«.
»Marcia Fadden … Frank Frick … Ben Hanscom …«
Er stand auf, warf einen letzten verstohlenen Blick auf Beverly Marsh (zumindest dachte er, dass es für diesen Sommer der letzte sein würde) und ging zum Pult von Mrs. Douglas, ein elfjähriger Junge mit einem Gesäß von etwa der Größe Neu-Mexikos in scheußlichen neuen Bluejeans, deren Kupfernieten im hellen Licht funkelten und die fscht-fscht-fscht machten, wenn seine fetten Schenkel beim Gehen aneinanderrieben. Seine Hüften wackelten wie bei einem Mädchen, und sein Bauch schwabbelte von einer Seite zur anderen.
Trotz der Sommerwärme trug er einen weiten Sweater, weil er sich seiner Brust furchtbar schämte, seit er am ersten Schultag nach den Weihnachtsferien eines seiner neuen T – Shirts mit Universitätslogo getragen hatte, und Belch Huggins, ein Sechstklässler, gebrüllt hatte: »He, schaut euch nur mal Hanscom an! Der Weihnachtsmann hat Benny Hanscom tolle Titten geschenkt!«
Dann hatte er sich aus Begeisterung über seinen eigenen Witz vor Lachen gebogen. Andere hatten in sein Gelächter eingestimmt … darunter auch einige Mädchen. Hätte sich in diesem Moment ein Loch im Boden aufgetan, das direkt zur Unterwelt führte, wäre Ben stumm hineingesprungen … oder vielleicht auch mit einem leisen Wort des Dankes auf den Lippen.
Deshalb trug er jetzt immer weite Sweater, von denen er vier besaß: den weiten braunen, den weiten grünen und zwei weite blaue. In dieser einen Hinsicht hatte er sich gegenüber seiner Mutter durchgesetzt, es war eine der wenigen Grenzen, die er in seiner Kindheit je überschritten hatte. Schlicht, weil er sich dazu verpflichtet gefühlt hatte. Hätte Beverly Marsh an jenem Tag mit den anderen gekichert, dann wäre er – so glaubte er – gestorben.
»Es war eine Freude, dich dieses Jahr zu unterrichten, Benjamin«, sagte Mrs. Douglas, als sie ihm sein Zeugnis überreichte.
»Danke, Mrs. Douglas.«
Aus dem Hintergrund des Klassenzimmers ertönte ein leises nachäffendes »Danke, Mrs. Douglas«.
Das war natürlich Henry Bowers. Henry war im Vorjahr sitzengeblieben, weshalb er nicht mit seinen Freunden Belch Huggins und Victor Criss die sechste Klasse besucht hatte. Ben vermutete, dass Bowers auch diesmal wieder Probleme mit der Versetzung hatte, denn sein Name war vorhin bei der alphabetischen
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