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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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westlichen Illinois. Dort unten sind die Farmer mit von der Feldarbeit schmerzendem Rücken in einen totengleichen Schlaf gefallen und haben lebhafte Träume; wer weiß, was sich vielleicht in ihren Scheunen und Kellern und auf ihren Feldern bewegt, während die Blitze zucken und der Donner grollt. Niemand weiß so etwas; man weiß nur, dass in solchen Nächten Naturkräfte entfesselt sind und die Luft elektrisch aufgeladen ist.
    Aber es sind Glocken, die Ben Hanscom in 8000 Metern Höhe hört, als das Flugzeug schließlich die Sturmzone hinter sich hat und der Flug langsam ruhiger wird; es sind Glocken; es ist die Glocke, die Ben Hanscom noch im Schlaf hört; und während er schläft, verschwindet die Mauer zwischen Vergangenheit und Gegenwart vollständig, und er stürzt durch die Jahre wie ein Mann, der in einen tiefen Brunnen fällt, wie Wells’ Zeitreisender, der, den abgebrochenen Steuerknüppel in Händen, tiefer und immer tiefer in das Land der Morlocks fällt, wo in dunklen Tunneln der Nacht Maschinen dröhnen. Es wird 1981, 1977, 1969; und plötzlich ist es Juni 1958, alles strahlt in hellem Sommerlicht, und hinter den geschlossenen Augenlidern ziehen sich Ben Hanscoms Pupillen auf Befehl seines träumenden Gehirns zusammen, jenes Gehirns, das nicht die Dunkelheit sieht, die über dem westlichen Illinois liegt, sondern den hellen Sonnenschein eines Junitags in Derry, Maine, vor siebenundzwanzig Jahren.
    Glocken.
    Die Glocke.
    Die Schule.
    Die Schule ist.
    Die Schule ist

2
     
    aus!
    Der Klang der Glocke, die in den Korridoren der Schule von Derry erscholl, einem großen Ziegelgebäude in der Jackson Street, ließ die Kinder in Ben Hanscoms Klassenzimmer in lauten Jubel ausbrechen – und diesmal wurden sie von der strengen Mrs. Douglas nicht getadelt. Wahrscheinlich, weil sie wusste, dass es unmöglich war, sie zur Ruhe zu bewegen.
    »Kinder!«, rief sie, als das Geschrei sich ein wenig gelegt hatte. »Dürfte ich noch einen Augenblick um eure Aufmerksamkeit bitten?«
    Nun ging ein aufgeregtes Raunen, vermischt mit einigen tiefen Seufzern, durch das Klassenzimmer dieser fünften Klasse, denn Mrs. Douglas hatte die Zeugnisse in die Hand genommen.
    »Hoffentlich bin ich durchgekommen«, sagte Sally Mueller vergnügt zu Bev Marsh, die in der nächsten Reihe saß. Sally war blond, hübsch und lebhaft. Bev war ebenfalls hübsch, aber an diesem Nachmittag hatte sie nichts Lebhaftes an sich, letzter Schultag hin oder her. Sie saß da und betrachtete launisch ihre Schuhe. Auf einer ihrer Wangen prangte ein verblassender Bluterguss.
    »Mir ist das scheißegal«, erwiderte Bev.
    Sally rümpfte die Nase – Damen drücken sich nicht so ordinär aus, bedeutete dieses Naserümpfen – und wandte sich Greta Bowie zu. Vermutlich war es ohnehin nur der Aufregung über die Glocke, die das Ende eines Schuljahres ankündigte, zuzuschreiben, dass Sally sich herabgelassen hatte, mit Beverly zu reden, dachte Ben. Sally Mueller und Greta Bowie stammten aus reichen Familien mit Häusern am West Broadway, und Bev kam aus einem der verwahrlosten Mietshäuser in der Lower Main Street. Die Lower Main Street und der West Broadway lagen nur zweieinhalb Kilometer auseinander, aber selbst ein Junge wie Ben wusste, dass die wirkliche Entfernung etwa so groß war wie die zwischen der Erde und dem Planeten Pluto. Das sah man schon an Beverly Marshs schäbigem Sweatshirt, ihrem viel zu großen Rock (billiges Zeug von der Heilsarmee) und ihren ausgetretenen Schuhen. Trotzdem konnte Ben Bev besser leiden – viel besser. Sally und Greta trugen hübsche Kleider, und er vermutete, dass sie sich jeden Monat das Haar wellen ließen oder was auch immer, aber das änderte nichts am Grundsätzlichen. Sie konnten sich die Haare jeden Tag wellen lassen und würden trotzdem eingebildete Puten bleiben.
    Bens Meinung nach war Beverly netter … und viel hübscher – obwohl er es auch in einer Million Jahren nie wagen würde, ihr derlei zu sagen. Aber manchmal, mitten im Winter, wenn draußen alles grau war und das gelbliche Licht im Klassenzimmer ihn schläfrig machte, wenn Mrs. Douglas das Dividieren erklärte oder Fragen zu einem der Bücher stellte, das sie gerade lasen, oder über Zinnvorkommen in Paraguay sprach – an jenen Tagen, wo man das Gefühl hatte, dass die Schule nie enden würde, wo einem das aber nichts ausmachte, weil die ganze Welt ohnehin nur aus Matsch zu bestehen schien -, an solchen Tagen betrachtete Ben verstohlen Beverlys

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