Es sterben immer drei
verschlossen war, die sich aber öffnen ließen. Mit etwas Glück konnte sie sich von dort ungesehen an der Küche vorbei durch die Macchia bis zu Irma mit ihrem Fernglas schleichen.
Sie warf die Tüte aus dem Fenster und stieg hinterher. Dass Andreas ein paar Meter weiter rechts an die Hauswand pinkelte, bemerkte sie erst, als sie fast schon ins Freie geklettert war. Erschrocken zog sie sich wieder ins Zimmer zurück und lugte um die Ecke. Er trug immer noch seine Reithosen mit den glänzend gewienerten Stiefeln und starrte konzentriert auf seinen Penis. Er bemerkte sie nicht. Er schien Prostatabeschwerden zu haben, es dauerte eine Ewigkeit, bis er seine Hose schloss und breitbeinig um die Ecke verschwand.
Gerade als sie zum zweiten Mal auf der Fensterbank saß, ein Bein draußen auf der Erde, ein Bein drinnen auf dem Teppich mit dem Saujagdmotiv, den Rücken schon dem Zimmer zugewandt, spürte sie einen Druck an der Wirbelsäule, den sie auf der Stelle identifizieren konnte.
Mit so etwas hatte sie vor nicht allzu langer Zeit schon mal Bekanntschaft gemacht.
Allerdings wohl etwas Größeres als Marlenes Damenpistole. Ein Gewehrlauf. Nicht gerade eine beruhigende Erkenntnis.
»Du hast hier nichts verloren«, stellte Jochen fest, knapp und effizient wie immer, und drückte noch etwas stärker auf ihr Rückgrat, genau zwischen ihren beiden Schulterblättern. Wenn er jetzt abdrückte, würde er seinen Teppich vor größeren Verunreinigungen schützen, weil sie einfach über das Fensterbrett auf die Wiese vor dem Haus kippen würde.
Allerdings, was hatte er davon? Nur eine Menge Scherereien.
Dieser Gedanke gab ihr etwas Auftrieb. So bescheuert war nicht mal Jochen. Sie hob unaufgefordert die Hände, wagte aber nicht, sich umzusehen.
»Umdrehen!«, befahl er.
Sie hob das Bein über die Fensterbank zurück ins Zimmer und drehte sich um.
»Setzen!«
Sie setzte sich auf die Fensterbank und senkte die Hände wieder. Sie befand sich schließlich nicht in einem Fernsehkrimi. Er hielt ein Gewehr in der Hand, das ihrer Laienmeinung nach sehr gut ein Holland&Holland-Elefantenkaliber sein konnte. Es kam ihr riesig vor, selbst bei einem so großen Mann wie Jochen.
Der Gewehrlauf starrte ihr finster ins Gesicht, und sie hoffte, dass Jochen nicht versehentlich den Abschussbügel aktivierte. »Ruhig Blut«, sagte sie wie zu einem kläffenden Dackel.
Jochen wedelte nicht wie Marlene mit der Waffe vor ihrem Gesicht herum, sondern hielt sie mit beängstigender Ruhe starr auf ihre Brust gerichtet. So zielte er wahrscheinlich auch auf Argali-Schafe. Er trug Kniebundhosen, das lächerlichste aller Kleidungsstücke. Dünnschisshosen hatten sie im Jägerjargon ihres Vaters geheißen. Vielleicht war es aber auch Nazijargon gewesen. In Anbetracht des warmen Wetters hatte er sie mit einem grünen Poloshirt mit Krokodil in der Herzgegend kombiniert. Ob er in dem stillosen Aufzug Katharina ins Krankenhaus chauffieren durfte?
»Hat Otto dir nicht verboten, weiter hier herumzuschnüffeln?«, schnarrte er im Oberfeldwebelton.
»Doch.«
Dieses folgsame Eingeständnis ließ ihn verstummen. Dass eine kleine, abhängige Arbeitnehmerin gleich die Befehle zweier wichtiger Männer ignorierte und tat, was sie wollte, kam in seiner Vorstellungswelt nicht vor. Aber er fand seine Sprache schnell wieder. »Was suchst du hier?«
Das fragte sie sich inzwischen auch. Um sich vor ihm keine Blöße zu geben, nannte sie ihm den harmlosesten Gegenstand, der ihr auf die Schnelle einfiel. »Die ukrainische Büroklammer.«
Diese Auskunft verblüffte ihn sichtlich. Unwillkürlich senkte er das Gewehr. »Ukrainische Büroklammer?«, echote er.
»Die du aus Barnaul mitgebracht hast.« Sie duzte ihn jetzt strategisch, aus dem umgekehrten Grund, aus dem sie ihn die ganze Zeit gesiezt hatte. Statt ihn auf Distanz zu halten, versuchte sie nun, ein Grundvertrauen herzustellen und die Gegenseite für sich einzunehmen. So wie manche Leute einen Türsteher duzen. »Von deinem Jagdausflug nach Sibirien.« Sie war sich nicht sicher, ob diese Auskunft jetzt ein geschickter Schachzug war. Im Lügen hatte sie sich noch nie als großes Talent erwiesen.
Er schaute sie immer noch an, als hätte er keine Ahnung, wovon sie redete.
Dann lachte er.
So laut, dass Stella hoffte, Kleemann bei seiner Rotweinflasche oder Andreas ohne Urindruck oder am besten beide, würden ihn hören und angerannt kommen, um nachzuschauen, was es hier Witziges gab.
»Was ist daran so lustig?«,
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