Es sterben immer drei
Bevor sie den Vorhang zuzog erhaschte sie noch einen Blick auf Derrida, der erwartungsvoll zur Tür blickte.
»Du Miststück, wie bist du hier reingekommen? Hau ab.« Die Stimme, die den Hund beschimpfte, klang schwer nach übermäßigem Alkoholgenuss, aber überhaupt nicht nach Jochen.Stella hörte ein dumpfes Geräusch, das sich wie ein Fußtritt auf Derridas Hinterteil anhörte, und ein kurzes Aufjaulen, gefolgt von dem Klackklack ewig nicht mehr geschnittener Hundekrallen auf Parkett. »Scheißvieh«, hörte Stella, kurz bevor die menschliche Silhouette sich vor dem Vorhang zur Nische aufbaute.
Ihr blieb das Herz stehen, es konnte aber auch sein, dass es raste. Der Unterschied war ihr in dem Moment nicht geläufig. Trotz grüner, handgewebter Wolle dazwischen erkannte sie Kleemann. Sie wartete darauf, entdeckt zu werden, und suchte fieberhaft nach einer Ausrede, warum sie in Jochens Schrank stand. Es fiel ihr keine ein, außer einem naiven Lächeln. Aber er öffnete den Vorhang nicht, sondern rumorte in dem Ablagefach darüber herum, das mit einem Flaschenregal bestückt war. Er stand mit erhobenen Armen vor ihr, leicht schwankend, nur der Vorhang und ein Lodenmantel trennten sie und sie hätte ihm leicht einen Dolch ins Herz stoßen können.
Sie hoffte, dass sie nicht atmete.
Er keuchte leicht.
Sie glaubte, seine Alkoholfahne riechen zu können, obwohl sein Atem durch den Stoff gefiltert wurde. Sein Ärger über Derridas Anblick war immer noch nicht verflogen. »Ich werde den Köter doch noch um die Ecke bringen«, nuschelte er vor sich hin. »Egal, was Katharina davon hält.« Derrida lenkte ihn davon ab, zu genau die Atmosphäre im Raum zu registrieren und zu bemerken, dass der Hund und er selbst nicht die einzigen unerwünschten Lebewesen hier unten waren. Er nahm zwei Flaschen aus dem Regal, das konnte Stella sehen, weil das Brett ohne Rückwand in die Nische gebaut worden war und die Flaschenböden darüber hinausragten. Offenbar verging Kleemann sich an Jochens Rotweinvorrat. Er legte eine der Flaschen zurück und nahm eine andere, die mehr seinem Geschmack entsprach. »Romano dal Forno, Amarone 1993«, murmelte er vor sich hin. »Genau das Richtige.« Der Schatten wurde wieder kleiner.
Stella hörte eine Tür, die nicht übermäßig behutsam zugezogen wurde. Sie wartete noch eine Weile und hielt sich an der Kleiderstange fest. Sehr viel anders konnte sich ein Herzinfarkt auch nicht anfühlen. Kleemann hatte sich tatsächlich wieder verzogen. Wahrscheinlich zur Degustation in die Küche.
Sie ignorierte ihren zitternden Körper, der ihr nur mitteilen wollte, dass er demnächst zusammenklappen würde, befreite sich aus der Nische und sah beim Verlassen des Zimmers die Pyjamajacke, die Derrida unter der Eckbank vergessen hatte. Den Gefallen konnte sie Luis tun und ihm sein geliebtes Nachtgewand zurückbringen. Sie kniete sich hin und fischte zwischen alten Decken, vergammelten Unterhosen und einem schmuddeligen Schaffell nach dem Tim&Struppi-Muster. Offenbar hatte sie Derridas Sammellager entdeckt. Sie fand auch Irmas Hermès-Kopftuch, das ebenfalls seit Tagen als vermisst gemeldet war. Eine wahre Fundgrube an Bazillenträgern, die der Sauberkeitsfanatiker Jochen erstaunlicherweise duldete. Wahrscheinlich aus Tierliebe, die bei ihm ausgeprägter zu sein schien als seine Menschenliebe.
Ganz hinten unter der Bank, versteckt im Dunkel, lag eine blaue Plastiktüte. Dieselbe Sorte, in der auch Valeries Leiche und das Futteral eingetütet waren. Handelsübliche Ware aus dem Supermercato , in denen die Bewohner der verstreut liegenden Häuser der Umgebung ihren Abfall in den Containern entlang der Hauptstraße deponierten. Ohne zusätzliche Anhaltspunkte als Beweismittel völlig ungeeignet. Aber vielleicht stammte diese hier von derselben Rolle wie diejenigen, die für den Transport des Leiche benutzt worden waren. Ein Polizeispezialist mit Chemielabor müsste das feststellen können. Derridas Zähne hatten Schlitze in das Plastik gerissen. Die Tüte war leer, aber noch brauchbar. Stella stopfte Pyjamajacke und Kopftuch hinein.
Das einzige Problem war jetzt, wie sie sich, ungesehen von Kleemann, in Sicherheit bringen konnte. Den Weg zurück über das Loft wagte sie nicht mehr. Zu lang und zu übersichtlich. DieTür vom Jagdstüberl direkt ins Freie war mit Läden verrammelt und außerdem abgesperrt. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als das einzige Fenster zu benutzen, das zwar auch mit Läden
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