Es sterben immer drei
zu lassen. Die Interpreten steigerten sich in einen wahren Schaffensrausch. Als nach zehn Minuten immer noch kein Ende abzusehen war, winkte der Conte das Mädchen mit den Schnapsgläsern zu sich und fing schon mal an, den ersten Damen unter den Instrumentalisten ein Glas in die Hand zu drücken. Als Zeichen des Dankes und dass es jetzt gut sei. Man verstand.
Luca klopfte sich beim Lachen auf die Oberschenkel. Er fing heftig zu klatschen an. Alle anderen machten mit. Unversehens driftete das Fest von inoffiziellem Leichenschmaus in Richtung Party, was Stella genau richtig fand. Valerie wäre begeistert auf den Tisch geklettert und hätte ihre Unterwäsche gezeigt. Zu den überzuckerten bunten Torten, bei deren Produktion sich niemand um chemiefreie Zutaten bemüht hatte, gab es Kaffee und Walnusslikör.
Dann griff der Saxophonlehrer der Contessa mit einem Keyboard in das Geschehen ein. Nach einem sanften Tarantella-Einstieg verschärfte er mit La Paloma , Azzuro und Rosamunda das Tempo. Begeistert begleitet von den Männern des Ortes, die ihre Plastikstühle um ihn herum gruppierten und lauthals mitsangen. Ab und zu kreischte dazu das Megaphon. Die zaghaften Versuche der Nordeuropäer zu tanzen, wurden von der Contessa engagiert unterstützt. Es gelang ihr, nach und nach jeden Mann einzeln auf die Tanzfläche zu zerren, die sie nach ein paar verlegenen Schritten aber schnell wieder verließen. Luca verschwand und Stella dachte schon, er sei vor der Tanzverpflichtung geflohen. Aber er kam mit einem Teller voll liebevoll angerichteter Nachtisch-Happen zurück, ließ Stella an in Vin Santo getunkten Mandelplätzchen knabbern und strich ihr aus heiterem Himmelmit beiden Händen vorsichtig die Haare aus dem Gesicht, nannte sie Bella und küsste sie einfach auf den Mund. Hoppla, was war denn das jetzt, dachte sie. Aber es gefiel ihr. Welche Frau kann schon einem Mann widerstehen, der sie schön findet?
Der Abend entwickelte sich in eine völlig andere Richtung als sie sich vorgenommen hatte. Statt Gesprächen zu lauschen, verdächtige Äußerungen aufzuschnappen, konspirative Kreise aufzudecken und ihren Teil dazu beizutragen, dass Luca den Mord an Valerie aufklären konnte, tanzte sie mit ihm zu Una festa sui prati , Parole, parole , Gelato al limon und vielen anderen italienischen Schlagern, die sie noch nie gehört hatte. Und das, obwohl sie gar nicht tanzen konnte. Der Saxophonlehrer nuschelte lässig italienische Anfeuerungen ins Mikrofon und irgendwann im Laufe des Abends vergaßen sogar die Olivenbauern ihre Zurückhaltung und ließen zu Latin Lover ihre Dreschmaschinen von Ehefrauen um sich herumwirbeln. Stella konnte keinen Rock ’n’ Roll, aber das machte nichts. Luca konnte es. Unter seiner Führung drehte sie sich vorwärts, rückwärts, einwärts, auswärts. Wenn er von ihr einen Salto-Überschlag verlangt hätte, hätte sie den auch hingekriegt. Auch Irma tanzte »wie ein Lump am Stecken«, wie sie Stella in einer Pause atemlos zurief. Die Rüschen vom festen Griff ihrer Tanzpartner zerdrückt, die Wimperntusche in Schlieren unter den Augen hängend. Stella hatte nicht einmal Zeit, über die Auflösung ihrer immer tadellos herausgeputzten Mutter eine töchterliche Schadenfreude zu entwickeln. Zu viel tat sich in diesem Schlosshof. Beim Herumdrehen bekam sie aus den Augenwinkeln gerade noch mit, dass Kleemann mit Marlene abwechselnd tanzte und knutschte, aber auch lange mit der Contessa in einer Ecke irgendetwas Ernsthaftes beriet. Fröhlich sahen sie dabei nicht aus. Jochen trug die ganze Zeit seine Leichenbittermiene zur Schau. Keiner sprach mit ihm, und er machte auch keine Anstalten, auf jemanden zuzugehen. Ganz trauernder Ehemann, gefangen in seinem Schmerz und seinem Hochmut. Der Conte stand bei einer Gruppe jungerMänner und schien sehr amüsant zu sein, denn alle lachten dauernd. Katharina, vom Klo zurück, nahm ein Glas Wein und stellte sich zu ihnen. Sie machten bereitwillig Platz, um sie in ihren Kreis aufzunehmen. Sie ließ sich Feuer geben und rauchte demonstrativ wie ein Filmstar der 30er-Jahre, sich ihres Images als Diva bewusst. Marlene, losgelassen von Karl, wanderte in Gummistiefeln zum Kirschenmini zwischen den Gästen herum und filmte sie mit einer kleinen, silbernen Kamera. Sie rauchte ebenfalls, aber ihr hing die Zigarette im Mundwinkel wie einem bretonischen Seemann. Die Einzigen, die so normal wirkten, dass es auch schon wieder auffiel, waren Andreas und Renate. Ein Ehepaar, das
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