Es sterben immer drei
wollte sie ihn auf der Stelle erschlagen.
»Was für ein Erbsenzähler doch aus dir geworden ist«, sagte sie, aber es hörte sich nicht an wie eine neue Erkenntnis. »Kleemanns Wehrdienstverweigerung lief noch. Jochen mit seinem gut vernetzten Arztpapa brauchte überhaupt nicht zur Bundeswehr. Deswegen waren beide so jung.« Sie rollte mit ihrem Stuhl gedankenverloren auf der Stelle. »Nachts im Park haben wir Engelssilhouetten in den Schnee gedrückt. Kennst du das?«, fragte sie Stella, die aufmerksam wie einem Märchenerzähler zugehört hatte. »Man legt sich in den Schnee und wischt mit den ausgestreckten Armen von oben nach unten, so dass der Körperabdruck aussieht, als ob er Flügel hätte.« Sie flatterte anmutig mit den Armen und sah tatsächlich aus wie ein Engel. Ein Engel mit Ballett-Training. Sie lachte in der Erinnerung. »Davon ist mir aber kalt geworden. Sehr kalt. Ich hatte ja schon damals nichts auf den Rippen. Wenn auch mehr als heute. Mir klapperten die Zähne und die Jungs bekamen Angst, dass ich mir eine Lungenentzündung holen könnte. Na ja, um es kurz zu machen, am Ende landeten wir alle drei im Bett in Kleemanns Zimmer im Studentenwohnheim.« Sie legte wieder ihre dramatisierende Pause ein. »Hast du schon mal einen Dreier mitgemacht?«
Stella verneinte.
»Catherine!« Jochen klang warnend.
»Ach, sei nicht so prüde.« Katharina schaute ihn amüsiert an. »Jochen hat eine panische Angst, dass ich Details aus seinem Sexleben verraten könnte.« Sie tätschelte beruhigend seinen Arm. »Nur so viel: Es ist wunderbar. Für eine Frau die aufregendste Art Sex. Schon allein die Tatsache, dass zwei Männer dich begehren, ist, wie sagt man heute, einfach geil.«
Jochen sah aus, als ob er einerseits am liebsten vor dem Gesprächfliehen würde, andererseits aber Katharina unter Kontrolle halten wollte, damit sie keine intimen Details ausplauderte. Noch dazu an eine Journalistin. Aber so weit, dass er ihr das Reden verbot, ging er dann doch nicht.
Stella, die normalerweise bei sexuellen Bekenntnissen von anderen dazu neigte, sich fremdzuschämen, aus Gründen, die sie selbst nicht genau analysieren konnte, denn eigentlich fand sie Sex eine faszinierende Angelegenheit, hörte Katharina gern davon reden und hätte am liebsten die wirklich interessanten Details aus ihr herausgefragt, aber aus Rücksicht auf Jochen verzichtete sie darauf. Ausgerechnet auf Jochen, diesen Typen, der so von sich überzeugt war, dass Scham in seinem Vorrat an Gefühlen ganz hinten vor sich hin gammelte, weil sie so selten benutzt wurde.
Und jetzt saß er hier, in diesem Wohnzimmer und geriet hilflos ins Schwitzen, weil seine Frau verriet, dass sie mal guten Sex mit ihm hatte, wenn auch nicht mit ihm allein. Männer sind merkwürdig, dachte Stella. Sie nahm nicht an, dass Katharina ihn, als Domina verkleidet, nackt auspeitschte, aber was wusste sie schon davon, in welche Untiefen menschliche Gelüste abgleiten können. Sie hatte ja noch nicht mal einen Dreier erlebt. Geschweige denn zugekokst Orgien gefeiert, einen Swingerclub besucht, sich mit einem Callboy vergnügt oder was es sonst noch so an Ausschweifungen gab. Sie war ein braves Mädchen, leider, und als solches beneidete sie Katharina um die beiden großen Lieben ihres Lebens, auch wenn beide sich nicht nur Katharinas Ansicht nach enttäuschend entwickelt hatten. Trauerte sie mit über 50 immer noch dem Gefühlsrausch einer 20-Jährigen nach?
»Was war Katharina damals eigentlich für eine Frau?«, fragte Stella Jochen, um ihn einzubeziehen und sein Unbehagen zu beruhigen. Obwohl Jochen diesen Schutz wahrlich nicht verdient hatte.
Er sah sie überrascht an, überrumpelt fast, dass seine Meinung nun gefragt war. Kurz schien er zu überlegen, ob er dieFrage abwehren sollte, aber Katharina hielt ihn davon ab. »Ja, erzähl, was ich für eine Frau war, damals«, forderte sie ihn begeistert auf. Die Erinnerung schien ihr Lieblingsfilm zu sein.
»Sie war sehr hübsch«, sagte er.
Katharina nickte. Er schwieg wieder. »Mehr«, sagte sie, »mehr davon, Jochen.«
»Was gibt’s da schon groß zu erzählen«, sagte er patzig. »Sie ist mir zum ersten Mal in einer Kunstgeschichtsvorlesung aufgefallen. Ich studierte zwar BWL, aber Kunstgeschichte interessierte mich auch. Vor allem romanische Kirchen. Die Form der Grundrisse als Symbolik der Glaubensinhalte.«
»Sterbenslangweilig«, sagte Katharina.
»Ganz und gar nicht«, protestierte Jochen und setzte zu einer
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