Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es sterben immer drei

Es sterben immer drei

Titel: Es sterben immer drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Bus
Vom Netzwerk:
lenken und die beiden an den Zaungast zu erinnern, der bekannt war für einfühlsame Psychogramme in einem auflagenstarken Schmierblatt. Stattdessen stand Jochen auf und ging. Wortlos, ohne sich zu entschuldigen. Die Tür fiel erstaunlich behutsam ins Schloss.
    Katharina schaute ihm lange nach, ihre linke Wange leuchteteleicht gerötet, aber das hätte auch der Aufruhr der Gefühle bewirken können. Stella blieb ruhig und diskret im Hintergrund wie eine Tapete an der Wand. Katharina schien ihre Anwesenheit überhaupt nicht mehr zu bemerken. »Schau dir das an«, sagte sie jedoch plötzlich und stand so abrupt auf, dass der Stuhl schlingernd durch den Raum rollte. Sie drehte die drei Bilder an der Wand um, die Stella bei ihrer ersten Erkundungstour durch das Haus schon einmal betrachtet hatte. Katharina brachte sie jetzt in die Ordnung, die sie dafür gedacht hatte. Sie selbst in der Opferpose des heiligen Sebastian in der Mitte, rechts und links die beiden Männer mit ihren Schusswaffen. Eine Anordnung wie ein Triptychon, ein Altargemälde. »Das ist aus der großen Liebe zu dritt geworden. Die beiden haben es auf meinen Tod abgesehen.«
    »Na, na, so schlimm wird es schon nicht sein«, versuchte Stella zu beschwichtigen. Katharina steigerte sich für ihren Geschmack in zu viel Pathos hinein. »Außerdem kannst du immer noch zurückschießen.«
    »Ich kann nicht schießen«, sagte Katharina. »Jochens Knallerei auf Tiere hat mich immer schon angewidert. Und seine Art, in jedem Menschen einen Feind zu sehen, der mit allen Mitteln bekämpft werden muss, geht mir auch auf die Nerven.«
    Stella fiel das Foto aus dem Papierkorb wieder ein. »Kannst du wirklich nicht schießen? Ich meine überhaupt nicht, nicht mal an einer Jahrmarktbude auf Plastikrosen?«
    Katharina, die in der Hocke vor ihren Bildern saß und sie so intensiv betrachtete, als wären sie aus irgendeinem Depot aufgetaucht und sie hätte sie nie zuvor gesehen, drehte sich um und betrachtete jetzt Stella genauso eindringlich. »Du meinst, ob ich ein Gewehr anlegen und damit Valerie erschießen könnte?«
    »Nein, natürlich nicht. Nur, ob du schon mal ein Gewehr in der Hand hattest.«
    »Nein«, sagte Katharina, »noch nie. Ich verabscheue Gewehre.Ich brauche weder Feinde noch tote Tiere, um mich lebendig zu fühlen.«
    »Was brauchst du dann?«
    »Bis vor nicht allzu langer Zeit hätte ich gesagt: Liebe.«
    »Und warum jetzt nicht mehr?«
    Als Antwort riss Katharina ihren Turban vom Kopf und schleuderte ihn in Richtung Küchenzeile. »Deswegen.«
    Sie brauchte nicht mit dem Finger darauf zu zeigen, Stella sah es auch so. Ihr Kopf war kahl.
    »Krebs. Ich habe höchstens noch ein halbes Jahr, sagen die Ärzte. Auch Liebe kann mich jetzt nicht mehr retten.«

12
    In dieser Nacht wachte Stella auf und konnte nicht mehr einschlafen. Es war noch zu dunkel für Jäger auf der Lauer, kein Laut zu hören. Selbst in Schliersee, wo die Stille nachts sie manchmal aus dem Bett hochschrecken ließ, nahm sie nicht das ganze Leben in Besitz. Aber hier, in den Wäldern auf dem umbrischen Hügel, fühlte sie sich wie eingesaugt in ein schwarzes Loch, abgedichtet mit einem Stöpsel. Zurückgeworfen auf ihr Innerstes krochen Bilder an die Oberfläche wie Aliens in einem Science-Fiction-Film. Alles, was sie tagsüber verdrängte, belästigte sie in der Stille der Nacht, alles holte sie ein, ihre Ängste, ihre Zweifel, ihr Versagen. Die lautlose Schwärze draußen öffnete die Dunkelheit in ihrem Inneren, in der sie zu versinken drohte. Sie fürchtete diese Stunden vor dem Morgengrauen, denen sie in unregelmäßigen Abständen ausgeliefert war, ohne Voranmeldung und gegen ihren Willen. Sie versuchte mit Atmen dagegen anzukämpfen. Auf dem Rücken liegend, mit den Händen über der Brust gefaltet wie eine Leiche im Sarg, trieb siein der Nacht. Einatmen, ausatmen, das allein bewahrte sie vor dem Tod. Einatmen, ausatmen. Die Versicherung, dass sie noch am Leben war und nicht in eine Welt driftete, in der sie völlig die Kontrolle verlor. Nicht denken, nicht fürchten, nur atmen. Das gelang eine Weile, bis Bilder, Eindrücke, Worte, Sätze die Macht zurückerlangten. Katharinas kahler Kopf. Ihre Wange, auf der sich Jochens Ohrfeige abzeichnete. Warum hatte sie gelogen? Warum stritt sie ab, dass sie schießen konnte? Das Gemälde, der weiße Oberkörper mit der amputierten Brust, aus dem das Blut aus den Wunden in der Bandage versickerte. Liebte Jochen sie oder hasste er sie? Gab es

Weitere Kostenlose Bücher