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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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aufnimmt. Auf diesem Bett hat er während der zweieinhalb Jahre, die er hier wohnt, ungefähr fünfzehn Frauen beschlafen, jeweils ein, zwei oder gelegentlich auch dreimal. Werden Sie nicht verlegen, junge Dame! Sex ist eine sehr gesunde Beschäftigung und auch jetzt, da Selig im mittleren Alter steht, noch immer ein sehr wesentlicher Aspekt seines Lebens! – Er wird – wer weiß? – in kommenden Jahren sogar noch wichtiger für ihn sein, denn Sex ist schließlich eine Möglichkeit, mit anderen Menschen Kontakt herzustellen, und gewisse andere Kommunikationskanäle scheinen sich ihm ja nun leider zu verschließen. Was das für Mädchen sind? Nun, einige von ihnen sind zugegebenermaßen keine Mädchen mehr, sondern Damen in recht vorgeschrittenem Alter. Er becirct sie auf seine schüchterne Art und Weise und überredet sie, eine glückliche Stunde mit ihm zu teilen. Zum zweitenmal lädt er fast keine von ihnen ein, und diejenigen, die er einlädt, lehnen seine Einladung meistens ab, aber das macht nichts. Seine Bedürfnisse sind gestillt. Wie bitte? Fünfzehn Mädchen in zweieinhalb Jahren sei nicht viel für einen Junggesellen? Wer sind Sie, daß Sie sich ein Urteil anmaßen? Selig hält es für genug. Ich versichere ihnen, daß er es für ausreichend hält. Bitte nicht auf das Bett setzen! Das ist sehr alt, bei der Heilsarmee in Harlem aus zweiter Hand erstanden. Ich erwarb es für ein paar Dollar, als ich meine letzte Wohnung, ein möbliertes Zimmer an der St. Nicholas Avenue, verließ und ein paar eigene Möbel brauchte. Einige Jahre davor, 1971 und 1972, hatte ich ein Wasserbett – wieder ein Beispiel dafür, daß ich den jeweiligen Modetrends folge –, aber ich konnte mich nicht an das ewige Gluckern gewöhnen und schenkte es schließlich einer jungen Dame, die absolut begeistert davon war. Was gibt es sonst noch im Schlafzimmer? Leider nicht viel Interessantes. Eine Kommode mit den üblichen Kleidungsstücken. Ein Paar abgelatschte Hausschuhe. Einen zersprungenen Spiegel. Sind Sie abergläubisch? Ein schiefes Bücherregal, vollgestopft mit alten Zeitschriften, denen er nie wieder einen Blick schenken wird: Partisan Review, Evergreen, Paris Review, New York Review of Books, Encounter. Einen Haufen hochgestochener Literaturerzeugnisse, sowie ein paar Psychoanalyse- und Psychiatrie-Journale, die Selig hin und wieder liest, weil er hofft, dadurch seine Selbsterkenntnis zu befördern, die er aber jedesmal gelangweilt und zutiefst enttäuscht in die Ecke wirft. Verlassen wir das Zimmer lieber; es muß ja deprimierend auf Sie wirken. An der Kochnische vorbei – Vierflammenherd, Kompaktkühlschrank, Resopaltisch –, in der er seine überaus bescheidenen Frühstücks- und Mittagsmahlzeiten zubereitet (zum Abendessen geht er zumeist aus), betreten wir die Kernzelle des Apartments, das L-förmige, blau gestrichene, vollgestopfte Wohn-/Arbeitszimmer. Hier können Sie sich ein genaues Bild von David Seligs intellektueller Entwicklung machen. Das da ist seine Schallplattensammlung, über hundert oft gespielte Scheiben, einige davon schon 1951 gekauft. (Archaische schwergewichtige Monoplatten!) Fast ausschließlich klassische Musik, obwohl zwei Ausnahmen ins Auge fallen: fünf oder sechs Jazzplatten von 1959 und fünf oder sechs Rockplatten von 1969, beide erworben in dem vagen, erfolglosen Versuch, den Geschmackshorizont in Richtung Moderne zu erweitern. Davon abgesehen finden Sie hier jedoch hauptsächlich ziemlich schwere Kost, schwierig, unzugänglich: Schönberg, später Beethoven, Mahler, Berg, die Bartok-Quartette, Bachs Passacaglias. Jedenfalls nichts, was man nach einmaligem Hören vor sich hinpfeift. Viel versteht Selig nicht von Musik, aber er weiß, was ihm gefällt; Sie fänden vermutlich keinen Gefallen daran.
    Und dies sind seine Bücher, liebevoll seit seinem zehnten Lebensjahr gesammelt und unverdrossen von einer Bleibe zur anderen mitgeschleppt. Die geologischen Schichten seiner Lektüre sind leicht auseinanderzuhalten und zu untersuchen. Ganz unten Jules Verne, H. G. Wells, Mark Twain, Dashiell Hammett. Sabatini. Kipling. Sir Walter Scott. Van Loons Story of Mankind. Verrils Great Conquerors of South and Central America. Die Bücher eines nüchternen, ernsten, gestörten Jungen. Plötzlich dann, mit dem Einsetzen der Pubertät, ein krasser Sprung: Orwell, Fitzgerald, Hemingway, Hardy, der leichtere Faulkner. Sehen Sie sich diese Raritäten von Paperbacks aus den Vierziger und frühen Fünfziger

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